Brainfood 8.11.2019
Amerika - hat ein Problem mit dem Kapitalismus. Die Konzentration von Vermögen und Einkommen ist frappant: Die realen Einkommen der reichsten 1% sind in den letzten 40 Jahren um 225% gewachsen, für den Mittelstand betrug das Wachstum 41% (Quelle Economist). Trotz tiefer Arbeitslosenrate stagnieren die Löhne. Viele Amerikaner haben keinen Zugang zum Gesundheitswesen, zu höherer Bildung oder einer anständigen Wohnsituation. Geschätzt 6 Mio. Angestellte von börsenkotierten Unternehmen verdienen mit ihrem Lohn zuwenig zum Leben. Die desolate Lage alarmiert schon längst auch die reichsten Amerikaner. Milliardäre wie Ray Dalio warnen: " the world has gone mad and the system is broken ".
Diese Ausgangslage ist die Basis für das Wahlprogramm von Elizabeth Warren. Die demokratische Senatorin hat sich gemäss Umfragen im Nacken von (Sleepy) Joe Biden festgesetzt. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sie am 3.11.2020 mit Trump in den Ring steigen wird.
Warren hat einen Plan für den amerikanischen Kapitalismus. Es ist ein Korb voller guter und schlechter Ideen. Sollte sie Präsidentin werden und nur einen Teil ihrer Wahlversprechen umsetzen, würde das ein Beben an der Börse auslösen. Hier eine Auswahl der markantesten Wahlversprechen:
Steuern:
- Trump Steuersenkungen werden rückgängig gemacht
- Vermögenssteuer: 2% bei Vermögen bis USD 50 Mio / 3 % über USD 1 Mrd.
- Unternehmenssteuern: 7% extra auf alle Firmengewinne über USD 100 Mio.
Gesundheitswesen:
- Grundversorgung (Medicare) für alle, verstaatlicht
Unternehmen:
- Marktmächtige Unternehmen sollen aufgebrochen (Google, Amazon, Facebook ), Fusionen, die zu oligopolähnlichen Strukturen führen, werden rückgängig gemacht (Bayer/Monsanto).
- Mitarbeiterbeteiligung: Grossfirmen müssen ihre Verwaltungsräte zu 40% mit Mitarbeitern besetzen.
- Einführung einer Federal Charter (staatliche Zertifizierung). Damit sollen Unternehmen mit mehr als 1 Mrd. USD Umsatz bestätigen, dass ihre Unternehmenspolitik die Interessen aller Stakeholder berücksichtigen (Abkehr vom Shareholder Value Prinzip). Staatsanwälte wachen über die Einhaltung.
Umweltschutz:
- Die USA treten dem Pariser Klimaabkommen wieder bei.
- Fracking soll verboten werden. Diese Forderung beunruhigt bereits die Ölindustrie .
- Atomenergie auslaufen lassen, staatliche Förderung alternativer Energie.
Politik:
- Annullierung von maximal USD 50'000 Student Loans pro Kopf für 42 Millionen Amerikaner, gratis College für alle.
- Drastische Einschränkung politischer Einflussnahme durch Lobbyisten.
Elizabeth Warren ist die spannendste Kandidatin im Rennen der Demokraten. Viele ihrer Forderungen gehen zu weit und sind reine Utopie. Von Sozialisten wie Bernie Sanders oder Jeremy Corbin (UK) unterscheidet sie sich darin, dass die Verstaatlichung von Unternehmen nicht zum Programm gehört. In einem wesentlichen Punkt liegt sie nahe bei Donald Trump: die Handelspolitik würde sich in der Sache kaum entspannen und den USD sieht sie als Allzweckwaffe zur Förderung der Exportwirtschaft und Stützung der heimischen Industrie.
Hidden Champion - diese Bezeichnung verdient sich die Zürcher Industriegruppe Belimo zu recht. Mit Produkten wie Antriebslösungen für Klima, Heizung, Lüftung oder Steuerungen und Ventile für Trinkwasser wächst das Unternehmen stetig und solid. Im Jahr 2018 erwirtschafteten 1600 Mitarbeiter einen Umsatz von CHF 642 Mio und einen Gewinn von CHF 86 Mio, beide Kennzahlen wachsen seit Jahren zwischen fünf und zehn Prozent jährlich. Belimo strotzt vor Kraft: das Eigenkapital erreicht 83% der Bilanzsumme.
Stetigkeit ist das Markenzeichen das Unternehmens. Beim Börsengang im Jahr 1995 aus verbuchte das KMU noch CHF 100 Mio. Umsatz. Kurz: Belimo ist das "Compounding Juwel" der Schweiz, wie uns ein Fondsmanager treffend erklärt hat.
So wird es niemanden erstaunen, dass sich der Unternehmenswert prächtig entwickelt hat. Über den Zeitraum von 25 Jahren resultierte eine Gesamtrendite (Kursgewinn + Dividende) von 18.1%, jährlich wohlverstanden. Das ist schon eine bemerkenswerte Leistung , wobei der exorbitante Zuwachs in den letzten vier Jahren auffällig ist. Die Aktie ist mittlerweile für einen Industriewert mit einem KGV von 40 extrem teuer.
Nun erleben wir an den Börsen fast täglich neue Rekordmarken, der SMI z.B. mit dem höchsten Stand in seiner über 30-jährigen Geschichte. Rasante Kursgewinne bei Qualitäts(neben)werten wie Belimo (+58% YTD) sind dabei quasi die Begleitmusik der sorglosen Anlegerstimmung . Der Beobachter wagt gar nicht mehr auf die Ungereimtheiten dieser ausserordentlichen Zeiten hinzuweisen. Umso mehr lohnt es sich, das Verhalten der Insider zu beobachten, was uns wieder zu Belimo zurückbringt. Deren Management hat in den letzten Jahren eine gute Hand für die kurzfristigen Bewegungen in den eigenen Aktien bewiesen. Die letzten Transaktionen zeigen an, dass die Luft jetzt doch langsam dünn wird.
Auf den Faktor Frau wetten - So titelt die NZZ ihren Hintergrundbericht zum Thema Gender-Diversity in der Unternehmensführung. Verschiedene Studien zeigen, dass gut gemischte Führungsorgane in Unternehmen zu höheren Eigenkapital- und Aktienrenditen führen.
Die logische Schlussfolgerung: Aktienfonds mit Fokus auf Firmen mit hoher Geschlechter-Diversität sollten ihre Benchmark übertreffen.
Wo sich Theorie und Praxis treffen, öffnet sich bisweilen eine Lücke gegenüber den Erwartungen. Die vorgestellten Fonds zeigen bisher keinerlei Anzeichen, dass diese Überperformance auch in der Tasche der Investoren landet. Die Anlageprodukte sind zwar allesamt noch zu wenig lang investiert, um ein abschliessendes Urteil zu fällen, aber einige Beobachtungen lassen Zweifel aufkommen, ob das funktionieren kann:
- Kosten: Gesamtkostenquoten (TER) von 1.8% p.a. sind auch bei Gender Fonds als prohibitiv zu bezeichnen und belasten die Performance langfristig.
- Closet Tracking ist ein verpöntes Phänomen, bei dem Fonds aktives Management vorgeben aber tatsächlich einen passiven Anlagestil an den Tag legen: der auf Deutschland fokussierte "Ampega GenderPlus" Fonds bewegt sich ansatzweise in dieser Grauzone - Nach bald 5 Jahren ist von Outperformance keine Spur erkennbar.
- Diversifikation: die beiden ETFs von Lyxor und UBS sind so hoch diversifiziert, dass mit ihnen im besten Fall die Performance des MSCI World Indexes zu erwarten ist.
- Titelselektion: Der Fokus auf ein subjektives Ausschlusskriterium (in diesem Fall die Geschlechter-Diversität) muss zwangsläufig zu einer negativen Selektion führen. Exzellente Firmen wie z.B. Belimo werden ausgeschlossen, da die Geschäftsleitung nur männlich besetzt ist. Auch ein Branchenleader wie Lindt & Sprüngli fällt in dieser Betrachtung aus dem Rahmen, obwohl die langfristige Performance deutlich besser ausfällt, als bei dem Vorzeige-Unternehmen Hershey (in mehreren Gender-Fonds unter den grössten Positionen).
Es ist begrüssenswert, wenn die Anleger eine Auswahl haben, um ihre Überzeugungen auch in ihren Finanzanlagen abzubilden. Gender Lens Investing ist unter diesem Aspekt eine sinnvolle Ergänzung zu ESG Investments im Allgemeinen. Ob sich der Performance Claim der Fonds realisieren lässt, bleibt abzuwarten. Aus unserer Sicht der klarer Favorit für ein Investment ist der UBS Global Gender Equality ETF, der mit Gesamtkosten von 0.3% p.a. positiv auffällt und performancemässig auf Kurs ist. Die grösste Position im Fonds ist übrigens Hershey. Wer etwas über die Führungsprinzipien dieses Unternehmens erfahren will, dem sei das Interview der CEO Michele Buck empfohlen.
Nachhaltigkeit - Es gibt "Innovationen", die sich wie eine Seuche in Windeseile um die halbe Welt ausbreiten. Das Food Delivery Business von Anbietern wie UBER Eats ist so ein Beispiel. In der Schweiz können die Konsumenten seit kurzem nach Genf und Lausanne auch in Zürich ihren Fastfood von einem UBER Eats Kurier liefern lassen.
Nachhaltig kann das nicht sein, ökologisch schon gar nicht. Wie der Quartalsbericht von UBER zeigt, kostet das Wachstum von Eats vorallem Geld: Umsatz 9 Monate 2019: USD 1.7 Mrd. (+73%), Verlust USD 0.9 Mrd. (+316%).
Weitaus sinnvoller ist das Geschäftsmodell von Loop. Das amerikanische Start-up liefert zwar die Ware auch nach Hause, aber das Ziel ist ein radikales Shopping-Modell: Dem Plastik wird der Kampf angesagt, und zwar mit werthaltigen Mehrwegbehältern. Wie es funktioniert erklärt dieses Video. Die Zusammenarbeit mit Konsumgüter-Multis wie Nestlé, Unilever, Procter&Gamble oder Pepsi und Detailhändler Carrefour und Tesco zeigt, dass der Druck auf die Wirtschaft, etwas gegen den Abfall-Wahnsinn zu unternehmen, Wirkung zeigt.
Das Konzept wird mittlerweile in Paris getestet, Deutschland soll folgen. Es ist zu hoffen, dass sich Innovationen wie Loop ebenso rasch ausbreiten wie Kurierdienste oder E-Scooter . Gemäss Umfragen sind übrigens auch die Schweizer für neue Einkaufsgewohnheiten offen.
Beratungsresistent - zeigt sich die Schweizerische Nationalbank . Mahnende Worte der Bankiervereinigung ("es ist angezeigt, den Weg für den Ausstieg aus dem Krisenmodus zu ebnen") oder der Einwand der Pensionskassen, zumindest die berufliche Vorsorge von den Negativzinsen auszuklammern, prallen an der Institution ab. Der SNB Präsident beharrt auf seinem Diktum, dass die Aufhebung der Negativzinsen eine Erstarkung des Frankens zur Folge hätte, gefolgt von einer Abschwächung der Wirtschaft mit steigender Arbeitslosigkeit.
Die mantramässige Behauptung der SNB, dass der Franken bei einer Abkehr von den Negativzinsen ansteigen würde, provoziert genau diese Markterwartung und verunmöglicht ein Handeln erst recht.
A propos Franken: nach Einschätzung von Raiffeisen ist der Franken beim aktuellen Kurs fair bewertet. Dass Negativzinsen nicht ein Dauerzustand sein können, signalisiert die Schwedische Reichsbank. Sie will bereits im Dezember die Zinsen zumindest auf Null anheben.
Wer sich mit der Widersprüchlichkeit von negativen Zinsen beschäftigen möchte, dem sei ein aktuelles Papier des Liberalen Instituts zum Thema empfohlen.
Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.
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