Brainfood 9.2.2018
Die Aktienmärkte - haben nach dem Blitzstart im Januar unvermittelt den Rückwärtsgang eingelegt. Tatsächlich waren die Kursbewegungen am Montag Abend in New York beeindruckend. Den interessantesten Beitrag zum Spektakel an den Börsen beleuchten wir im nächsten Kapitel. Den Rest kennen Sie aus den Medien.
Erneut wollen wir hier einen Blick auf die wundersame Welt der Kryptowährungen werfen, in der bedeutende, vielleicht sogar entscheidende Momente bevorstehen. Zuerst ein Wort zum jüngsten Preissturz, das Wort Crash soll jetzt nicht bemüht werden.
Seit Anfang Jahr ist die gesamte Kapitalisierung der Kryptowährungen von USD 600 Mrd. auf 390 Mrd. gefallen, ein Rückgang von 35%. Dabei handelt es sich also nicht mehr um Kleingeld. Die schlechten Nachrichten gehen aber über Kursverluste hinaus. Neuerdings machen Berichte die Runde, dass auf Kredit mit Bitcoin spekuliert wird. Ausserdem wurde vergangene Woche in Japan eine Krypto Börse "ausgeraubt" : Schaden USD 500 Mio.
Aufgefallen sind in den letzten Wochen zudem der wachsende Widerstand der Banken gegenüber Bitcoin & Co. In der Schweiz warnte die UBS ihre Mitarbeiter vor den Risiken, in England verweigern Banken Hauskäufern eine Hypothek, wenn sie ihre Anzahlung aus dem Erlös von Kryptowährungsverkäufen tätigen wollen, aus Angst, in Probleme mit Geldwäscherei zu geraten. Auf höherer Ebene bewegen sich nun auch die Zentralbanken unüberhörbar. Thomas Jordan liess sich vor einigen Tagen zum Thema verlauten.
Die deutlichsten Worte fand jedoch der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ. Als Bank der Zentralbanken hat die Stimme dieses Instituts Gewicht. An einem Vortrag der Bundesbank erinnerte Agustin Carstens an die Gefahren für die Finanzstabilität und mahnte die Zentralbanken: "gleiche Risiken, gleiche Regeln und zwar ohne Ausnahme." Mit anderen Worten: die Zügel werden angezogen, bevor der Ritt durch den Wilden Westen mit einem Abwurf endet.
XIV - ist nicht die Bezeichnung für eine neu lancierte Kryptowährung oder amerikanische Mittelstreckenrakete. Es handelt sich vielmehr um ein obskures Finanzprodukt mit dem vollen Namen VelocityShares Daily Inverse VIX Short-Term ETN. ETN steht für Exchange Traded Note, ein Produkt, das wie ein ETF an der Börse handelt.
Ein bekannter Kritiker derivativer Finanzprodukte ist Warren Buffett. Mehrfach nannte er diese jeweils Weapons of Mass Destruction, Zeitbomben, die in den Büchern von Banken und Anlegern in Krisenzeiten explodieren können. Die weisen Worte haben sich nun dieser Tage in der Gestalt der spektakulären Implosion dieses XIV bewahrheitet. Noch am Freitag handelte das Produkt bei USD 130 mit einer Marktkapitalisierung von USD 2.1 Mrd. Es ist jetzt praktisch wertlos. Mittendrin in dieser Saga steckt die Credit Suisse. Eine sehr interessante Abhandlung der Ereignisse ist hier zu lesen. Zur Erklärung der Funktionsweise des Produkts folgen Sie diesem Link .
Peak Social Media? - Bevor wir das kritische Auge auf Facebook als Aktienanlage werfen, zollen wir dem Unternehmen von Mark Zuckerberg den gebührenden Respekt. Die Zahlen zum Geschäftsjahr 2017 sind beeindruckend: Umsatz USD 40.6 Mrd. (+49% ggü. Vorjahr), Gewinn USD 15.9 Mrd. (+55% ggü. Vorjahr) und das mit lediglich 25'000 Mitarbeitern. 1.4 Mrd. Menschen nutzen Facebook täglich, der Umsatz pro User beläuft sich auf USD 6 pro Jahr. Der Erfolg des Medienunternehmens zeigt sich entsprechend im Aktienkurs und einer Kapitalisierung von USD 553 Mrd.
Was gibt es da zu mäkeln? Die Sache mit Facebook ist höchst spannend und geht über finanzielle Aspekte hinaus. Seit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind Firmen wie Google, Twitter und Facebook unter Druck wegen der Verbreitung von Fake News und dem Missbrauch durch Kriminelle . Es droht zunehmend Kontrolle und weitergehende Regulierung durch Regierungen (Stichwort Netzdurchsetzungsgesetz in Deutschland), weil die Tech Firmen diese Probleme nicht in den Griff bekommen. Zuckerberg selber hat die Schwierigkeiten für Facebook erkannt, wie er anlässlich der Präsentation der Geschäftszahlen einmal mehr bekräftigte. Man will angeblich Gutes für die Menschen und die Gesellschaft tun. Unmittelbares Resultat dieser Bemühungen ist, dass das Unternehmen letztes Jahr 7'000 Mitarbeiter einstellte, die sich um Fake News und Sicherheitsaspekte kümmern, gleichzeitig wurde Ende 2017 der Newsfeed geändert, was im letzten Quartal erstmals zu einem Rückgang der täglichen Nutzungsdauer geführt hat. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die Nutzerzahlen plafonieren und der Zuspruch in wichtigen Zielgruppen schwindet (U20).
Mit anderen Worten: es ist durchaus möglich, dass sich zumindest an den Börsen "Peak Social Media" abzeichnet, falls aus dem Wachstum eine Schrumpfung der Einnahmen resultieren sollte. Facebook & co. sind also nicht nur aufgrund ihrer Marktdominanz, sondern auch als Investment auf dem Prüfstand.
Verkehrte Arbeitswelt - "Mehr Geld und bessere Arbeitszeiten" hat sich die deutsche Gewerkschaft IG Metall auf die Fahne geschrieben. Und tatsächlich, der soeben erzielte Tarifabschluss ist bemerkenswert: Wahlrecht der Mitarbeiter, die Arbeitszeit ab 2019 während zweier Jahre von 35 auf 28 Stunden zu reduzieren (nach zwei Jahren können sie entscheiden, ob es so bleiben soll oder wieder auf 35 Stunden aufstocken), plus über die gleiche Periode verteilt 7% mehr Lohn. Davon können die Schweizer Arbeitnehmer nur träumen. Lohnerhöhungen gibt es in der Privatwirtschaft seit Jahren im Bereich von 0-1%; auch die letzte Lohnrunde war da keine Ausnahme. Hingegen kennen die Arbeitgeber hierzulande das Wort Flexibilisierung ebenfalls, nur soll sich diese in eine andere Richtung bewegen. So forderte der Gewerbeverband vor Kurzem, dass in Stosszeiten die 50-Stunden-Woche möglich sein soll. Man muss kein Ökonom oder Philosoph sein um festzustellen, dass hier auf beiden Seiten der Begriff "Mass halten" auf der Strecke geblieben ist. Die Folgen machen sich langfristig bemerkbar. In Deutschland wird die Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft leiden und in der Schweiz munitionieren die Arbeitgeber die Gegenseite auf, was in regelmässigen Abständen zu standortschädlichen Abstimmungen führt (Erbschaftssteuern, 1:12 für gerechte Löhne, bedingungsloses Grundeinkommen usw.)
Nukleardoktrin USA - Im Rahmen des neusten Nuclear Posture Review haben die Amerikaner ein weiteres Wahlversprechen von Donald Trump in die Tat umgesetzt. Die neue Einsatzdoktrin wird mit der Entwicklung von Mini-Sprengsätzen, die von U-Booten abgeschossen werden und einem erweiterten Einsatzrahmen ergänzt. Neu sind begrenzte Atomschläge auch bei "verheerenden nicht-nuklearen Angriffen auf die Infrastruktur der USA" möglich. Gemäss Sicherheitsexperten würden dazu weitreichende Cyberattacken oder Terroranschläge im Stil von 9/11 genügen. Das Verteidigungsministerium argumentiert im Sinn, dass die neue Strategie nur eine Anpassung an die neuen Realitäten, d.h. die Bedrohungslage durch Nordkorea oder das Gebaren Russlands, darstellt. Als Beobachter reibt man sich allerdings die Augen, wenn man an die Schalmeienklänge von Obama und Medwedew im Jahr 2010 zurückdenkt. Acht Jahre später sind die internationalen Beziehungen mit dem neuen US Präsidenten, Krieg in der Ukraine und der Situation in Nordkorea offenkundig auf Abwege gekommen. Die Frage stellt sich: wohin führt das noch?
In eigener Sache - Die Finanzindustrie ist seit einigen Jahren durch Regulierungsdruck, schwindende Margen, Überkapazitäten und Digitalisierung geprägt. Das Resultat sieht man u.a. an der miserablen Kursentwicklung von Bankaktien und dem schrumpfenden Personalbestand der Branche. Eine besonders gefährdete Spezies von Bankmitarbeitern sind Personen Ü50. In den Grossbanken sind die Graumelierten weitgehend ausgemerzt worden, aber auch kleinere Institute zeigen keine Scheu, langjährige Mitarbeiter mit 60 Jahren zu entlassen. Klar, am schnellsten sind die Kosten bei den teuersten Angestellten gespart, zudem hapert es häufig mit der digitalen Fitness der Älteren. Mithin also keine gute Ausgangslage, um sich im Sturm zu behaupten. Trotzdem geht den Firmen etwas verloren, nämlich wertvolle Erfahrung z.B. an den Finanzmärkten. Ein interessanter Artikel von Bloomberg Is Wall Street's Untested Millennial Majority a Risk? zeigt, dass die Hälfte aller Asset Manager weniger als 9 Jahre im Geschäft ist und nur steigende Märkte, Nullzinsen und inexistente Volatilität kennt. Die Antwort auf die Vorbehalte bezüglich Erfahrung erfolgt in der den Millennials typischen Bescheidenheit: "Find me someone who worked in the era of 15% inflation and I'll talk to them about Bitcoin and the Internet."
Wir von Weissenstein ergänzen an dieser Stelle, dass es nicht nur den Portfolio Managern zunehmend an Erfahrung fehlt. Auch die Kundenberater verlieren an Profil, da sie heute keine Kundenvermögen mehr verwalten und als Verkäufer und Administratoren Begriffe wie "Verantwortung" und "Sorge tragen" oft nur noch vom Hörensagen kennen.
Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.
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