Nichts gelernt und alles vergessen!
Nichts gelernt und alles vergessen!
Das Kanzleigericht von Delaware hat in einem Aufsehen erregenden Urteil im Februar 2024 verfügt, die vom Tesla Verwaltungsrat 2018 beschlossene Vergütung in Form von Aktienoptionen an Elon Musk zu verbieten. Dies mit der Begründung, dass Elon Musk bereits damals 22 % der Tesla-Aktien kontrollierte und allein ein Preisanstieg der Tesla Aktie von 10 % einen Vermögenszuwachs zu seinen Gunsten von ca. + USD 10 Mia. betragen hätte.
Eines der Tesla-VR-Mitglieder (James Murdoch) rechtfertigte den damaligen Entscheid 2018 mit dem Satz: ‘Elon braucht seine regelmässige Dopamin-Zufuhr, um noch besser zu funktionieren!’
Wenn Sie sich jetzt fragen, um welchen Totalbetrag es ging: USD 55,8 Milliarden – oder ausgeschrieben: USD 55'800'000'000.- also USD 55'800 Millionen!
Brillanz und Wahnwitzigkeit einer Persönlichkeit wie Elon Musk hin oder her, so einen Kompensationsbetrag via Verwaltungsrat zu legitimieren, ist verrückt. Genauso rücksichtslos und unverschämt war auch die ablehnende Reaktion von Musk auf das Verdikt, verbunden mit der Drohung, den Geschäftssitz von Tesla sofort von Delaware nach Texas verlegen zu wollen, wo die Gerichte scheinbar nachlässiger urteilen.
Wie steht’s in der Schweiz?
Dass Urs Rohner für seine miserablen Leistungen als Verwaltungsratspräsident der
Credit Suisse viel zu grosszügig entlöhnt wurde, ist bekannt. Kürzlich gab die Gesamt-vergütung 2023 von Vas Narasimhan, CEO Novartis, in der Höhe von CHF 16,3 Mio. zu Recht zu reden, da dieser Betrag in keinem Verhältnis zur bescheidenen Kursentwicklung
(+ 15 % über 5 Jahre) der Novartis-Aktie steht.
Leider handelt es sich hierbei nicht um Einzelfälle, doch ursächlich sind der Verwaltungsrat und in letzter Instanz die Aktionäre für derartige Exzesse verantwortlich. Daraus ist zu folgern, dass die Verantwortlichen offensichtlich und zumindest teilweise die Bodenhaftung bzw. den Anstand vermissen lassen oder anders gesagt, den Bezug zur Realität.
Wo klemmt’s?
Vergütungsmodelle orientieren sich immer weniger an der eigentlichen Kursentwicklung der Unternehmensaktie. Stattdessen werden komplexe ‘Cocktails’ von gewichteten Faktoren gemixt, die zu einer vermeintlichen Mehrwertgenerierung beitragen sollten. Noch übler erscheint’s mir, wenn die vereinbarten Kompensationspläne während mehreren Jahren punktuell angepasst – oftmals aus Sicht des Aktionärs – verschlimmbessert werden.
Fast ausnahmslos winkt die Generalversammlung den maximalen Vergütungsbetrag zu Gunsten des VRs und der GL durch, ohne sich mit den Einzelheiten genauer auseinander-zusetzen.
Verwaltungsrat und Kompetenzen
Erstaunt beobachte ich, wie die Profile von Verwaltungsräten immer breiter und breiter gefächert werden. Die Swiss Board School empfiehlt dazu folgendes, wolkig aber wohl gut gemeintes Charakterschema:
VRP = Coach, Vize VRP = Förderer, VR 1 = Controller, VR 2 = Kreative Gestaltung, VR 3 = Konstruktiver Kritiker, VR-Sekretär = Umsetzer.
Strategy follows people – die Bedeutung des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung bzw. deren Spitze wird in der Unternehmensentwicklung zu häufig unterschätzt.
Schaut man sich die Zusammensetzung von vielen Verwaltungsräten z.B. bei Banken an,
dominieren in den meisten Fällen überwiegend folgende Berufsbilder:
Compliance und Governance-Spezialisten, Professoren/Anwälte, Wirtschaftsprüfer/Controller,
IT- und Cyberriskverantwortliche, Industriekapitäne; manchmal und immer öfter angereichert mit einem/einer Nachhaltigkeits- bzw. Diversitätssachverständigen.
Vergleicht man das Unternehmensleitbild und die strategische Stossrichtung der Firma spiegelbildlich mit dem Verwaltungsrat als oberstes Strategie- und Kontrollgremium, zeigen sich meistens erschreckende Differenzen.
Denn, welches Dienstleistungsinstitut stellt nicht die Kunden in den Mittelpunkt und wirbt ausdrücklich damit? So fragt sich, wer (bzw. warum fast niemand) im Verwaltungsrat jahrelange Erfahrungen im Kundengeschäft aufweist, um zusammen mit der Geschäftsleitung und einem oftmals prägenden CEO das Kerngeschäft des Unternehmens aus Sicht der Praxis zu beurteilen, strategisch zu prägen und zu fördern?
Zeitbudget - knapp bis ungenügend!
Aus empirischen Erfahrungswerten bei börsenkotierten Unternehmen werden für Verwaltungsräte folgende Zeitbudgets für eine korrekte Mandatsausübung
(im Teilpensum) veranschlagt: VRP = min. 35 %, VR = min. 20 % exkl. Mitwirkung in Kommissionen und Ausschüssen (z.B. Strategie, Risiko, HR, Vergütung).
Wie kann es folglich sein, dass gewisse Miliz-Verwaltungsräte 4 -5 börsenkotierte VR-Mandate innehaben und somit bereits bei einem normalen Geschäftsgang des Unternehmens zeitlich vollends ausgelastet sind? Und was passiert, wenn eine Krise oder ein Notfall eintritt?
Mandatsbeschränkung ist zwingend
Bei Verwaltungsräten (speziell von börsenkotierten Unternehmen) sollte sich das Gremium in Eigenverantwortung eine Mandatsbeschränkung auferlegen und diese in den Statuten verankern. Z.B., dass pro Mitglied maximal drei Mandate angenommen werden dürfen. So wird sichergestellt, dass der VR nicht unnötig personell aufgebläht wird und die Mitglieder dem Unternehmen die nötige Zeit und Aufmerksamkeit widmen können.
Diese Einschränkung gilt dann sowohl bei Antritt wie auch während der Amtsperiode. Mit dem zusätzlichen Vorteil, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats effektiv als oberste Botschafter eines Unternehmens auftreten können und dieses Prädikat nicht zu einem reinen Lippenbekenntnis verkommt.
Neu kalibrieren tut not!
Nebst der selbstauferlegten Mandatsbeschränkung ist es ebenso wichtig, dass im obersten Leitungsgremium die Mehrheit der Mandatsträger über profundes Know-How im Kern-Kundengeschäft verfügen, d.h. dieses aus der jahrelangen Praxis kennen und beherrschen;
mit dem Ziel, für Kunden, Mitarbeitende und Aktionäre einen Wertzuwachs zu erwirtschaften.
Oder einfacher ausgedrückt: Mehr Kundenkompetenz und gesunder Menschenverstand – weniger Firlefanz!
Wer’s verpasst, riskiert nicht nur einen Placebo-und/oder Galionsfiguren-Verwaltungsrat, sondern auch, dass künftig – als Präjudiz für Firmen an der Börse - ein Gesetz oder eine Verordnung geschaffen wird, um politisch eine Mandatsbeschränkung zu erwirken.
Schade, wenn es so weit käme und es dann hiesse: Nichts gelernt und alles vergessen!
Marcus H. Bühler
Verwaltungsratspräsident
Weissenstein & Partner AG
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