"Das Buffet ist eröffnet"
#3 der Serie «In VWL nicht immer aufgepasst»
Das Buffet ist eröffnet
Niemand käme auf die Idee, nach ein paar unfallfreien Jahren absichtlich jemandem ins Heck zu fahren, um «die Haftpflicht-Versicherung herauszuholen». Verbreiteter war früher die Mentalität, bei «Versicherungsfällen» eine Luxus-Reparatur auszuführen. Dem haben die Autoversicherer inzwischen einen Riegel geschoben und schreiben genau vor, was wo repariert wird.
Besser liesse sich nicht veranschaulichen, dass unsere obligatorische Krankenkasse gar keine Versicherung im eigentlichen Sinne ist. Natürlich sichert sie den Katastrophenfall einer langjährigen, schweren Krankheit ab. Aber zum einen ist sie – eben – obligatorisch, zum anderen reguliert niemand ernsthaft den «Schadensfall». Sind Franchise und vielleicht auch Selbstbehalt erst einmal «aufgebraucht», hält man ein Art Medizinal-GA in Händen. So wie viele Senioren mit ihrem 1.-Klasse GA den milliardenteuren Neat-Tunnel mit Grenzkosten Null nutzen, um auf der Piazza in Locarno den etwas günstigeren Espresso zu trinken, fehlt dann jeder Anreiz, eine ärztliche Behandlung oder Untersuchung zu hinterfragen.
Nun schickt man sich mit der Prämien-Entlastungs-Initiative an, das letzte verbliebene Preissignal auch noch ausser Kraft zu setzen. Zumindest die Aussicht auf weiter steigende Prämien hat – bei manchen Zeitgenossen - noch eine leicht dämpfende Wirkung auf die Nachfrage, so wie man in einer Gruppe im Restaurant vielleicht mit Rücksicht auf nicht so zahlungskräftige Tischgenossen nicht den teuersten Wein bestellt. Wird diese nun bei 10% des verfügbaren Einkommens (wie definiert?) gedeckelt, so haben wir es mit einer nahezu unbegrenzten Nachfrage zu tun, die zwangsläufig auch das Angebot vergrössern wird. Was spricht beispielsweise dagegen, in Zukunft bei jedem persönlichen Problem einen Psychiater beizuziehen?
Dass mit der damit verbundenen unausweichlichen Steuererhöhung im Bund und vielen Kantonen auch noch vernünftig konsumierende Bürger (z.B. in der Ostschweiz) bestraft werden und den unbekümmert zum Arzt pilgernden Städtern die Rechnung bezahlen, ist eine weitere absurde Nebenwirkung.
All dies hält jedoch die Protagonisten dieser Initiative (SP, Grüne und Gewerkschaften), selbst mit volkswirtschaftlichem Hintergrund, nicht davon ab, diese Fakten zu ignorieren. Hauptsache eine weitere Drehung an der Sozialleistungsschraube. Dass die breite Phalanx der Anbieter von Leistungen stillschweigend nichts dagegen haben, ist sowieso klar.
Norbert Brestel, Zürich
Mit Norbert Brestel konnte Weissenstein & Partner einen Gastautor gewinnen, der sich mit Beiträgen zu aktuellen Wirtschaftsthemen äussert. Mit der losen Serie "In VWL nicht immer aufgepasst" beschäftigt ihn insbesondere der Umstand der weitverbreiteten Unwissenheit bezüglich einfacher volkswirtschaftlicher Zusammenhänge, die weder durch die Politik noch die Bildungsinstitutionen ausreichend adressiert werden.
Norbert Brestel war nach einem Betriebswirtschaftsstudium an der HSG mehr als 35 Jahre in der Finanzindustrie tätig und verantwortete zuletzt für einen internationalen Asset Manager die Verwaltung massgechneiderter Aktien- und Fixed-Income Mandate. Seit 2023 ist er selbständiger Berater für einige Stiftungen.
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