Der Blick vom Weissenstein

 

Im Rahmen unserer "Mini-Serie" haben wir uns mit Persönlichkeiten aus unserem Netzwerk über ihre Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen in den vergangenen Wochen im Ausnahmezustand unterhalten. Es kommen jeweils zwei Vertreter*innen aus demselben Bereich zu Wort.

 

Heute werfen wir einen Blick nach China. Im Gespräch berichten mit Dr. Adrian Eberle (Asia Dynamics AG) und Ewald Beivi (Nobel Biocare) zwei profunde Asienkenner von ihren persönlichen Erfahrungen.

Lieber Adrian, besten Dank, dass Du Dich für dieses Interview zur Verfügung stellst.

Wie geht es Dir?

Mir geht es den Umständen entsprechend glücklicherweise sehr gut, und die ganz Familie ist gesund. Selbstverständlich bedauere ich sehr, dass soziale Kontakte zurzeit nicht möglich sind. Aber es ist wichtig und notwendig, dass wir alle Solidarität zeigen und dazu beitragen, dass die Virusausbreitung so rasch wie möglich nachhaltig eingedämmt werden kann.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Die letzten Monate waren für unsere Firma eine turbulente Zeit. Als uns Ende Januar die erschreckenden Zahlen und Bilder zu Covid-19 aus China erreichten, hatte niemand mehr Interesse, über eine Asienexpansion zu sprechen. Drei Monate später befinden sich Europa und USA in einer Schockstarre, während Asien bereits zurück zur Normalität findet. Für viele Unternehmen werden bereits in sehr naher Zukunft die asiatischen Märkte wieder von grösster Relevanz sein - während in Europa und den USA noch Krisenstimmung herrscht.

 

Eine, der für uns aktuell einschneidensten Auswirkungen, sind die Grenzschliessungen und die daraus resultierende Immobilität. Es ist uns nicht mehr möglich, nach Asien zu fliegen, um das Business für unsere Kunden vor Ort aufzubauen.

 

Die Krise bot uns aber auch unerwartete Chancen. Aufgrund unserer lokalen Netzwerke in Asien unterstützen wir aktuell europäische Behörden, Spitäler und private Kunden bei der Beschaffung von Schutzmaterial aus Asien hinsichtlich Sourcing und Logistik. Dies ist eine sehr befriedigende Aufgabe, weil wir damit einen wertvollen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung leisten.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt. Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Man schätzt das engere Umfeld viel mehr und freut sich wieder über die kleinen Dinge im Leben, wie z.B. einen Telefonanruf mit älteren Familienmitgliedern, oder einen Spaziergang an der frischen Luft. Gesundheit hat einen noch nie in diesem Ausmass erlebten Stellenwert bekommen. Dass in Emails als Grussformel plötzlich alle "bleibt gesund" schreiben, widerspiegelt dies sehr anschaulich.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Generell wird sich (hoffentlich!) das Bewusstsein der Menschen verändern, dass ganz vieles, was wir in der Vergangenheit als selbstverständlich betrachtet haben, es eben nicht ist. Bei vielen Dingen wie beispielsweise Weekend- oder Shoppingtrips, welche in den letzten Wochen nicht mehr möglich waren, findet ein Umdenken statt. Was die Klimadebatte nicht erreicht hatte, führte uns nun die Corona-Krise plastisch vor Augen: "Was und wieviel Konsum braucht der Mensch, um glücklich zu sein?" Der Verzicht scheint am Anfang am härtesten, nach ein paar Wochen stellt man mit Genugtuung fest, dass man vieles gar nicht wirklich braucht.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?

Absolut. Es ist sehr positiv zu sehen, wie die gesamte Schweiz von einer Solidaritätswelle erfasst wurde, die wir bisher nicht für möglich gehalten hätten. Nachbarn bieten spontan ihre Hilfe an, um für ältere Personen die täglichen Einkäufe zu tätigen. Es ist schön zu sehen, wie die Leute in Krisenzeiten zusammenstehen und sich gegenseitig unterstützen. Wir alle sind viel geduldiger und dankbarer geworden.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Gesellschaften und Kulturen sind viel individueller, als wir das vor der Krise wahrgenommen haben. Jedes Land geht anders mit der Krise um. Auch wenn gewisse Länder geographisch Nachbarn sind, zeigen sich die kulturellen Unterschiede gerade in Situationen wie der aktuellen Krise besonders deutlich. Schweden oder die Niederlande gehen ganz anders mit der Krise um als Deutschland, und Österreich hat trotz der Nähe zu Italien einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Dies verdeutlicht die enormen Herausforderungen, vor denen die Europäische Union stehen wird.

 

Als Bürger eines Vorzeigestaates bezüglich Freiheit und Demokratie ist eine der Lehren aus dieser Krise aber sicher auch die Verteidigung unserer Werte. Aus Angst vor einem unsichtbaren Feind dürfen wir nicht unsere Freiheit als eines der höchsten Güter opfern. Die Disziplin der Schweizer auch ohne Ausgangssperre hat viele positiv überrascht und bekräftigt das Einstehen für unsere liberale, freiheitliche Gesellschaft.

 

Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Gerne möchte ich dieses Interview mit einem Zitat, das uns ein Freund aus Asien geschickt hat, abschliessen. Dieses Zitat versinnbildlicht für mich, welche generellen Lehren wir langfristig aus der aktuellen Corona-Krise ziehen sollten: "The earth is sending us human beings a message: You are not necessary. The air, earth, water, fire and sky are fine without you. When you come back from your isolation and resume your activities, remember that you are only guests on planet earth, not masters."

 

Zum Autor:

Dr. Adrian Eberle ist Gründer und Managing Partner der Asia Dynamics AG. Asia Dynamics spezialisiert sich als international tätige Consulting Firma auf die Themen "Market Entry" und "Market Expansion" in Asien. Wir bauen für europäische Unternehmen ihre Präsenz in Asien auf, oder treiben das Wachstum bestehender Länderorganisationen voran.

Lieber Ewald, besten Dank, dass Du Dich für dieses Interview zur Verfügung stellst. 

Wie geht es Dir?

Danke der Nachfrage, es geht gut. Wir sind gesund und geniessen das sonnige Aprilwetter trotz Social Distancing zu unseren Freunden und Gewohntem.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Natürlich sind Veränderungen da. Seit Mitte März arbeite ich aus dem Home Office, ab April reduziert, mit 50% Kurzarbeit. Mein Arbeitgeber (Nobel Biocare) hat global schnell reagiert. Arbeiten "Out of the Office" ist nichts Neues für mich, das kenne ich von China her. Dies natürlich auch bedingt durch häufige Reisetätigkeiten und die grossen Distanzen in Asien zu Fabriken und Kunden. Neu ist aber auch für mich das Home Office. Änderungen im Tagesablauf sind unvermeidlich. Jedoch habe ich nun auch mehr Zeit für andere Dinge, die ich toll finde, wie z.B. Kochen. Kein Gym, doch das kompensiere ich jeden Abend im nahen Wald, an der frischen Luft.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt. Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Ich war erstaunt, wie die Leute hier in der Schweiz überrascht wurden. Durch meine Nähe zu China habe ich ja die Krise bereits anfangs Jahr verfolgt. Die Auslandchinesen in der Schweiz haben früh mobilisiert, während bei uns noch "Business as usual" galt. Ich sehe eine grosse Solidarität bei der chinesischen Bevölkerung in der Schweiz, aber auch in China, wobei der Patriotismus gestärkt wurde. Ich beobachte eine grössere Nähe zu meinen bestehenden Kontakten. Das Thema Wohlergehen in meinen Gesprächen ist wichtiger als das eigentliche Geschäft. Wir können jetzt von China lernen.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Ich habe während der SARS Zeit 2003 in Singapore gelebt und war dann in ganz Asien unterwegs. In China hatten wir immer wieder mit irgendwelchen Vorfällen zu tun. Die Bevölkerung ist daher recht flexibel und anpassungsfähig. China hat sich sehr schnell auf die Situation eingestellt und auf E-Learning umgestellt, sowie den E-Commerce noch weiter ausgebaut. Hier in der Schweiz geht es etwas länger, doch der Trend ist klar. Nach einer typisch schweizerischen Zurückhaltung werden wir wohl nach der Krise die digitale Welt anders sehen und auch vermehrt mitgestalten wollen.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?

Ganz sicher. Wir waren ja bisher in einem Glashaus, und der Schweizer liebt keine Überraschungen. Ich verfolge mit Interesse die Diskussionen in der Politik. Die Krise zeigt uns die Schwächen unserer Demokratie auf, wenn es zum Krisenmanagement kommt. Wir werden sicher daraus lernen. Vielleicht werden wir auch flexibler für die Zukunft und uns bewusst, dass Krisen keine Grenzen kennen. Wir werden auf jeden Fall digitaler und flexibler agieren.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Krisen kennen keine Grenzen. Es ist gut, für das Schlimmste gewappnet zu sein. Was ist die Aufgabe des Staates unter solchen Bedingungen? Es kann ja nicht sein, dass jeder Kanton seine eigenen Argumente verteidigen muss. Wir brauchen mehr Handlungsdruck, um schnell und flexibel auf eine Situation zu reagieren. Da sind uns Mainland China aber auch Taiwan klar voraus. Der Individiualismus muss dann wohl bei uns zurückstehen!

 

Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

In China habe ich gelernt, bzw. lernen müssen, flexibel zu sein. Mein Leitspruch: "Alles ist möglich, nichts ist einfach!" Das ist in China tatsächlich so im täglichen Leben, zumindest als Ausländer im Land. Doch es wird ja zunehmend besser. Was heute nicht geht, geht morgen; das motiviert. In der Zukunft werden wir mehr an das "Wir" anstelle des "Ich" denken müssen.

 

Wie bei einem Unternehmen: Strategie ist gut und wichtig, der Erfolg ist aber abhängig von der Ausführung. Die Corona Krise zeigt das schonungslos auf.

 

Zum Auto:

Ewald Beivi, MBA und Six Sigma Green Belt, verheiratet mit einer Chinesin, ist Verpackungsexperte bei Nobel Biocare. Von 2002-2017 lebte er in Asien. Zuerst zwei Jahre in Singapore, dann in China. Er ist Lehrbeauftragter im Bereich Packaging & Printing Engineering an der Tianjin University of Science & Technology, TUST mit dem Spezialgebiet Product Development and Innovation.

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