Brainfood 14.2.2020

Risse - in der Fassade der westlichen Demokratien ortet Felix Zulauf. Er ist eine der wenigen Ökonomen-Stimmen in der Schweiz, die sich nicht scheut, die Probleme unserer Zeit beim Namen zu nennen. In einem lesenswerten Aufsatz für "The Market" (Artikel kostenpflichtig) beschreibt er das Systemversagen, den schleichenden Weg in die Planwirtschaft und die Folgen für die Finanzmärkte. Zum Zustand der Demokratie:

 

"...Der Globalisierungsschub der vergangenen 30 Jahre hat uns Produktivitätsgewinne und Wohlstand gebracht. Aber dieser wurde einseitig verteilt und hat die Welt in Gewinner und Verlierer gespalten. Zu den Gewinnern zählt die neue Mittelschicht in den Schwellenländern sowie die Oberschicht weltweit, denn sie hat von der Inflationierung der Vermögenswerte profitiert. Und in der Bel Etage werden Einkommen bezahlt, die für den Durchschnittsbürger nicht mehr nachvollziehbar sind.

 

Der grosse Verlierer ist der Mittelstand in den westlichen Industrieländern. Menschen mit kleinem oder keinem Vermögen stehen mit ihrem Arbeitsplatz und Lohn im Wettbewerb mit den Schwellenländern. Diese Menschen merken, dass sie wirtschaftlich nicht mehr vorankommen. Sie begehren auf und wenden sich von den einst dominanten Parteien ab.

 

Mit dem schwindenden Vertrauen in die vermeintliche Elite in Wirtschaft und Politik fällt unsere Demokratie in die Krise. Das Establishment von Zentralbankern über Politiker bis zu den geldverwöhnten Managern, scheint sich nur noch um ihr eigenes Wohl zu kümmern, während der einfache Bürger in der Kälte steht...Wer dies einfach mit noch mehr Geldschöpfung, Regulierung und Umverteilung beiseite wischen will, verkennt, wie ernsthaft unserer Demokratie gefährdet ist. Besonders in Westeuropa drohen Verhältnisse wie in der Weimarer Republik, mit schwachen Minderheitsregierungen, die zu harten Entscheidungen unfähig geworden sind.."

 

Die aktuellen Zustände in der deutschen Politik könnten nicht besser beschreiben, was der Autor meint. 

Abwärts  - ging es kürzlich für namhafte CEOs. Die Causa Thiam braucht keine weiteren Erläuterungen. Der abtretende Credit Suisse Chef blickt auf eine Halbierung des Aktienkurses während seiner Amtszeit zurück und wird angeblich mit einem Paket über CHF 30 Mio. verabschiedet.

 

Noch im Dezember wurde bei Boeing Denis Muilenberg entlassen. Er hat das 737 Max Debakel zu verantworten. Unter seiner Ägide war die Boeing Aktie jahrelang ein Outperformer . Allerdings zu einem hohen Preis, wie sich nun zeigt. Statt sich auf höchste Standards in Produktion und Entwicklung zu konzentrieren, maximierte das Unternehmen den kurzfristigen Shareholder Value. Seit 2013 kaufte Boeing Aktien im Wert von USD 43 Mrd. zurück und erhöhte die Dividende regelmässig. Nun muss die Verschuldung um USD 12 Mrd. erhöht werden, um die Kosten des Max Groundings zu absorbieren. Die Aktionäre scheint es nicht zu stören. Die Boeing Aktie notiert lediglich 10% unter dem Niveau als die erste Maschine abstürzte und der CEO durfte sich mit einem Ruhestandspaket über USD 80 Mio. verabschieden.

 

Mit einem Kurssprung von 14% quittierte die IBM Aktie die Ankündigung vom Abgang von CEO Ginni Rometty. Sie führte das Unternehmen seit 2012 an. In diesem Zeitraum hat IBM 25% an Wert verloren. Über ihren dürftigen Leistungsausweis haben wir bereits einmal berichtet. Gelohnt hat sich die Karriere bei IBM für Rometti allemal. Wie der Blog "Epsilon Theory" berechnet hat, verdiente die Managerin allein mit Aktientransaktionen über die letzten 15 Jahren USD 100 Mio. Darin sind die Salärzahlungen noch nicht einmal enthalten.

 

Eine prominente Entlassung ist schliesslich in Frankreich zu verzeichnen. Die Vorzeigemanagerin Isabelle Kocher von Engie wurde nach einem Machtkampf mit dem Verwaltungsrat abgesetzt. Sie richtete das halbstaatliche Energie-Konglomerat auf Nachhaltigkeit aus, blieb aber mit 170'000 Mitarbeitern in rund 50 Ländern und Aktivitäten in der Gas-, Wind-, Sonnen- und Kernenergie verzettelt. 50 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versuchten der Managerin mit einem offenen Brief  in letzter Minute den Rücken zu stärken. Die interne Kritik an Führungsstil und fehlender Empathie wog jedoch zu schwer. Den Aktionären kann es egal sein. Operative und finanzielle Fortschritte konnte Kocher keine erreichen und im Vergleich zur Konkurrenz liegt Engie weit zurück.

 

Das Ziel verfehlt- hat das ABB Management in den letzten Jahren häufig. "Der Wertsteigerung verpflichtet" - so titelte z.B. der Bericht zum Geschäftsjahr 2016. Seither sind jedoch alle Kennzahlen rückläufig: Umsatz -21%, Gewinn -26%, Cash-Flow -40%. Die Eigenkapitalquote ist derweil von 35% auf noch 30.3% gesunken.

Wertsteigerung bedeutet bei ABB vorallem Maximierung des Shareholder Values. Der Gewinn pro Aktie konnte dank umfangreichen Aktienrückkäufen knapp bei USD 1.24 gehalten werden. Die Ausschüttung hingegen wurde von CHF 0.74 auf CHF 0.8 pro Aktie angehoben. 

Wie es scheint, hält das Unternehmen an dieser Strategie fest, obwohl 2019 wiederum als schwaches Jahr in die Geschichte eingeht. "Strampeln im Leerlauf" beschreibt den Geschäftsverlauf bestens. 3'900 Arbeitsplätze mussten gestrichen werden und der Erlös von rund USD 7.7 Mrd. aus dem Verkauf der Stromnetzsparte soll vollständig für den Rückkauf von eigenen Aktien verwendet werden (!). Die Aktionäre mögen diese Massnahmen, die unveränderte Dividende und die Ankunft des neuen CEO bejubeln. Aber es ist nicht ersichtlich, wie ABB den eigenen Claim "Technologieführer für digitale Industrien" so erreichen will.

 

Startklar  - so scheint es, macht sich die Krypto Community. Seit Anfang Jahr ist die "Referenzwährung" Bitcoin um knapp 34% gestiegen und hat die USD 10'000 Marke wieder überschritten. Auch die anderen "Schwergewichte" wie z.B. Ethereum (+68%), Ripple (+40%) oder Litecoin (+72%) ziehen kräftig im Wert an. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen suchen die Investoren alternative Anlageklassen in unruhigen Zeiten. Andererseits gilt wie auch für Gold die verbreitete Unsitte der Negativzinsen als ideale Stütze für ertraglose Vermögenswerte.

Die Talsohle haben die Kryptowährungen allerdings bereits im letzten Jahr hinter sich gelassen. Die Fantasie beflügelte damals die Diskussion um Libra. Das Facebook Projekt droht allerdings zu versanden. Zu gross sind die Widerstände der Regulatoren und das Misstrauen gegenüber einer zentralistischen Währung kontrolliert von amerikanischen Konzernen.

Wenn man den Berufsoptimisten aus der Szene Glauben schenkt, so geht die Fahrt nach oben erst richtig los. Mit dem "Bitcoin Halving" steht im Mai ein Halbierung der Bitcoin Inflation von rund 4 auf 2 % an, was sich positiv auf den Preis auswirken sollte. Auch in der traditionellen Finanzwelt belebt sich das Interesse an Crypto Assets (Big investors come back for another bite) und last but not least, plant der Schweizer Pionier Bitcoin Suisse angeblich mittelfristig den Börsengang. Das Timing könnte aufgehen und dem Kurszettel der Schweizer Börse würde frische Luft gut anstehen.

Cannabis - warf in Nordamerika in Anlegerkreisen vor zwei Jahren grosse Wellen, als verschiedene US Bundesstaaten und insbesondere Kanada den Hanfkonsum zumindest teilweise legalisierten. Die Anleger konnten ihr Glück nicht fassen und verursachten kurzerhand eine Mini-Blase. Legendär ist der Handel in den Aktien von Tilray Inc. Die Freude währte jedoch nur kurz, zwischenzeitlich bei USD 210 gehandelt, kostet der Titel heute noch 8 Dollar. Den Konkurrenten im Sektor erging es dabei nicht besser .

Natürlich war der Handel exzessiv, aber die Probleme rührten insbesondere daher, dass sich der legalisierte Markt in Kanada bisher nicht wie erwartet entwickelt. An der Ausgangslage hat sich jedoch nichts verändert. Gemäss Schätzungen erreicht die weltweite Nachfrage nach medizinischem Cannabis in einigen Jahren USD 60 Mrd. Wie die Financial Times berichtet, soll z.B. der Markt in England  innerhalb von fünf Jahren auf 1.2 Mrd. Dollar anwachsen, dies bei einer Ausgangsbasis von Null. Das Einsatzgebiet von CBD ist breitgefächert und erst in Entwicklung. Nach jahrzehntelanger Forschungstätigkeit hat die britische Firma GW Pharmaceuticals als bisher einziges Unternehmen die Zulassung für ein CBD Medikament zur Behandlung von Epilepsie erhalten. 

Es steckt also vorallem viel Fantasie in der jungen Branche. Neuerdings können auch europäische Investoren in einen Hanf ETF investieren, dies wenigstens zu tieferen Kursen, nachdem die spekulative Luft fürs erste entwichen ist.

Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.

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