Brainfood 19.7.2019
Fata Morgana - rsp. eine Wahrnehmungstäuschung scheint private Investoren befallen zu haben. Wie eine aktuelle (globale) Anleger-Umfrage von Natixis feststellt, sind die Erwartungen bezüglich Performance und Risiko jenseits rationaler Werte.
So scheint beispielsweise für Schweizer Anleger 11.6% Ertrag auf ihren Investments eine völlig plausible Erwartung zu sein. Dieser Zielwert liegt weit ab von dem, was Finanzprofis als möglich erachten (5.3%) und steht zudem quer zur Einstellung gegenüber Anlagerisiken. Aus der Umfrage dazu: "No matter what the markets are doing, investors consistently value safety over performance"
Zur Erinnerung ein paar Rendite-Werte aus der realen Welt:
- CH-Staatsanleihen: 2 Jahre: -0.9% / 5 Jahre -0.87%
- Rendite p.a. über 10 Jahre: Pictet BVG 25: 4.4% / Pictet BVG 40: 5.5%
- Aktien: Swiss Performance Index über 10 Jahre p.a. 9.5%
Bedenklich an der Studie sind aber auch die Schlussfolgerungen . So wird z.B. festgestellt, dass Anleger besser über die Realitäten von Risiko und Volatilität aufgeklärt, rsp. dabei unterstützt werden müssen, herauszufinden, wieviel Risiko sie tatsächlich "ertragen" können.
Es scheint also, dass trotz MiFid und Fidleg Vorgaben zur Abklärung der Risikofähigkeit und Eignungsprüfungen kein Lerneffekt erkennbar ist.
Impact Investing - Die Nashorn-Population in Afrika ist in einem bedauerlichen Zustand. Rund 5'000 Tiere streifen heute durch die Savannen des Kontinents, in den 70er Jahren waren es noch über 60'000 Tiere.
Mit einem kreativen Finanzkonstrukt soll der Schutz des Rhinos intensiviert werden. Mittels einem "Rhino-Bond" über 50 Mio. USD möchten die Initianten privaten Investoren die Möglichkeit geben, sich direkt am Schutz einer Spezies zu beteiligen.
Was gut tönt ist allerdings kompliziert und vorallem hoch riskant. Die Zahlung von Zins, rsp. die Rückzahlung der Investition ist abhängig davon, ob die Zielgrössen der Nashorn Bestände an verschiedenen Standorten in Kenya und Südafrika erreicht werden.
"Outcome Payments" Modell nennt sich diese Struktur und damit soll der Artenschutz revolutioniert werden. Verkürzt funktioniert das Konstrukt wie folgt: Ein "Outcome Payer" (z.B. eine staatliche Behörde oder eine Charity) garantiert über die Laufzeit den Nominalbetrag und den Zins, sofern die festgelegten Ziele erreicht werden.
Was für die Geldgeber ein sinnvoller Ansatz ist, sieht hingegen für Investoren zwiespältiger aus.
Sie finanzieren den Betrag für die Dauer der Laufzeit. Während der potentielle Nutzen klar ist (Schutz einer Spezies, plus allenfalls eine Rendite), bleibt eine Frage offen: Wie können die Investoren sicherstellen, dass die Gelder derart eingesetzt werden, dass die Ziele erreichbar sind und die Investition möglichst wieder zurückbezahlt wird?
Dass Financial Engineering und die Realitäten vor Ort wahrscheinlich nicht so einfach zu kombinieren sind, ahnt wohl auch einer der Initianten: "The first goal is to get this one right. If all goes well, this will open up the market place."
Null Prozent - höher sollten Staatsanleihen heutzutage nicht rentieren. Diesen Eindruck erhält der staunende Beobachter des Geschehens an den Kapitalmärkten. Tatsächlich werfen amerikanische Treasury Bonds mit einer Laufzeit von 10 Jahren immer noch 2.06% ab. Zwar ist das beträchtlich tiefer als Anfang Jahr (2.7%), aber immer noch bedeutend mehr als europäische Regierungen für ihre Schulden zu zahlen haben. Warum also sollten die US Zinsen nicht auf 0 fallen, wenn das der neue Standard ist?
Zu diesem schlichten Schluss kommen immer mehr Marktteilnehmer, z.B. der CIO von JP Morgan Asset Management oder der illustre Hedge Fund Manager Kyle Bass.
Möglicherweise liegen die Strategen richtig, wenn man bedenkt, dass die EZB bereits im Herbst die Schraube weiter nach unten dreht und mit einer neuen Serie QE anfängt.
Für die Anlager wäre das quasi ein Free Lunch: einfach lang laufende US Treasuries kaufen, abwarten und das bei bester Bonität. (Achtung USD Risiko nicht vergessen!)
27'398 - Punkte erreichte der Dow Jones am 16. Juli 2019 - ein vorläufiger Rekordstand wie für manch anderen Index in diesen Tagen. Kann der Dow sein Niveau halten? Die Frage könnte bereits nächste Woche eine Antwort finden und hat nichts mit Zinssenkungen oder Konjunkturdaten zu tun.
Am 24.7. wird Boeing über das abgelaufene Quartal und den Ausblick für den Rest des Jahres berichten. Der Rüstungs- und Aviatikkonzern hat mit 9.3% das grösste Gewicht im Dow Jones Index (zum Vergleich Microsoft 2.8%, ExxonMobil 2.2%, Apple 5.1%). Mit anderen Worten, das Unternehmen bewegt den Markt.
Die Kursgrafik zeigt, dass die Anleger bisher ziemlich entspannt mit der Kalamität rund um die 737 Max umgehen.
Das ist erstaunlich, denn der Newsflow hat sich den letzten Wochen deutlich eingetrübt. Gemäss dem Wall Street Journal wird das Grounding der Maschinen frühestens im Januar 2020 aufgehoben. In der Zwischenzeit produziert Boeing monatlich 40 Maschinen des Typs 737 Max auf Halde, die Auslieferung von Jets ist im 2. Quartal eingebrochen. Das hat finanzielle Folgen, wenn man bedenkt, dass ein Drittel des operativen Gewinns der Gesellschaft aus dem 737 Programm stammt.
Damit aber nicht genug der Probleme. Boeing profitierte in den letzten Jahren von einer lockeren Aufsicht und der Fokus auf Kostensenkungen resultierte in Qualitätsmängeln auch bei der Produktion des Dreamliners. Die Reputation hat Schaden genommen und dass Boeing bescheidene 100 Mio USD als Abfindung für die Hinterbliebenen der Katastrophen zurückgestellt hat, zeigt dass das Unternehmen wenig Sensibilität zeigt.
Fehleinschätzungen können teuer werden, wenn Firmen ins Visier der Behörden kommen. Das aktuelle Beispiel ist die 5 Mrd. Busse von Facebook und in diesem Fall ging es lediglich um Datenmissbrauch und nicht Menschenleben.
Fintech Update - Beim Beobachten der Szene entsteht gelegentlich der Eindruck, dass die klassischen Finanzdienstleister unmittelbar vor dem Aus stehen und von den flinken Newcomern aus dem Markt gedrängt werden.
Online Banken wie N26 oder Monzo wachsen exponentiell. Kein Wunder sind die Ambitionen grandios. Das Parade-Einhorn der Stunde ist weiterhin Revolut. Der Börsengang soll aber gemäss dem CEO erst bei einer Bewertung von USD 20 Mrd. ins Auge gefasst werden.
Wunderbare Wachstumsfantasien sind das eine, die Realität, wenn ein Unternehmen erst an der Börse ist, das andere. Funding Circle, ein britisches Peer-to-Peer Lending Fintech, ging vor neun Monaten mit einer Bewertung von CHF 2 Mrd. an den Start. In Aussicht wurden 40% Wachstum, eine Expansion in Nordamerika und ein Kreditvolumen von dereinst 100 Mrd. Dollar gestellt. Davon und vom Aktienkurs (-70%) ist nicht viel übrig geblieben.
Überhaupt ist Fintech trotz Boom ein dorniges Feld. So sind gemäss PwC in Deutschland in den letzten zwei Jahren 170 Startups eingegangen. Eine Konsolidierungswelle wird wohl auch die Schweizer Fintech-Landschaft in naher Zukunft bereinigen. In einigen Geschäftsfeldern gibt es zuviele Me-too-Fintechs, was z.B. auch die digitalste Bank der Schweiz feststellen musste. Ihre Crowdfunding-Plattform Ideenkicker.ch stellte den Betrieb kürzlich nach zwei Jahren ein.
Aufbruchstimmung - ortet der Tagesanzeiger bei den Kryptowährungen. Der steile Kursanstieg von Bitcoin & Co. in den letzten Wochen und die Ankündigung von Libra beflügeln die Phantasie der Anleger aufs Neue.
Erstaunlich finden wir, dass gemäss einer Studie des Vermögensverwalters Legg Mason angeblich ein Drittel der Schweizer Investoren durchschnittlich 7.5% in Kryptowährungen investiert haben. Diesen Befund kann man getrost als Fake News abbuchen. Zum einen führt kein seriöses Finanzinstitut Kryptowährungen in der Anlagestrategie, wie dem jüngsten Anlagespiegel der NZZ leicht zu entnehmen ist. Zum anderen bestätigt der Blick auf zwei der populärsten Krypto Produkte ( Vontobel Bitcoin Zertifikat und Amun Crypto Basket), dass die Volumen sich abhängig von den Preisbewegungen auf mässigem Niveau bewegen.
Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.
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