Der Blick vom Weissenstein

 

Luxus wurde in Zeiten von Corona womöglich neu definiert: ein Waldspaziergang mit dem Dackel oder in Begriffen wie Freiheit und Menschlichkeit. Zwei Protagonisten, die in der Welt des Luxus und Designs zuhause sind, geben ihre Sicht der Dinge weiter.

Freilich, es ist gefühlt schon etwas Gras gewachsen über die Causa Corona, doch die Aussagen von Beatrice Rossi, Goldschmiedin und Schmuckdesignerin, "Das Leben ist ein Zeitgeschäft" oder "Am Schluss zahlt für alles immer das Volk" lassen aufhorchen.

Ebenso, wenn der Designer, Publizist und Kurator Ralf Michel von der wiedererlangten Bedeutung des Begriffs "Freund" erzählt oder die westlichen Demokratien als grössten Luxus bezeichnet.

Liebe Beatrice, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst. 

Wie geht es Dir?

Den Umständen entsprechend gut.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Ich hielt mich an die Verordnungen. Mein Geschäft war geschlossen, und ich war täglich in der Werkstatt am Arbeiten. Ebenso ein Teil meiner Mitarbeiter. Aber keine Kundschaft bedeutete kein Einkommen.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Im Privaten durchaus positiv. Ich nehme mir mehr Zeit zum Schreiben, Lesen und Telefonieren. Das alles nach langen Waldspaziergängen mit unserem Dackel. Ab und zu laufen wir zu zweit, die Gespräche sind intensiver als sonst. Einige Freunde haben Corona durchgestanden mit gutem Ausgang, das lässt einen hoffen..

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Früh habe ich meine Kundschaft darüber informiert, dass ich jederzeit erreichbar bin. In der Zeit des Lockdowns bin ich Frühaufsteherin geworden, nutze den Tag und bin dabei äusserst kreativ.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?

Ich muss erkennen, dass die gut situierte Schweiz schlecht vorbereitet war auf so einen Fall, obschon Anzeichen gegeben waren. Es braucht Mut, Kraft und Intelligenz für individuelle, vielleicht auch unkonventionelle Wege, wie z.B. Schweden ihn geht, in solch anspruchsvollen Zeiten. Wir haben uns in falscher Sicherheit gewähnt, und mir wurde bewusst, dass das Leben ein Zeitgeschäft ist. Daraus resultiert ein gesteigertes Bewusstsein für das Leben und den Moment.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Innehalten.

 

Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Seid Euch bewusst: Am Schluss zahlt für alles immer das Volk.

 

Zur Autorin:

Beatrice Rossi, geboren in Schaffhausen, Ausbildung zur Goldschmiedin in der "Goldstadt" Pforzheim D - seit 36 Jahren selbständig mit eigenem Geschäft, Ausstellungen und Messebeteiligungen im In- und Ausland.

 

www.beatricerossi.ch

 

 

Lieber Ralf, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst.

Wie geht es Dir?

Mir geht es in mehrfacher Hinsicht gut. Ich habe das Glück, diese Zeit im Unterengadin zu verbringen. Dazu sollte ich erwähnen, dass ich im Februar einen schweren Skiunfall erlitten habe und mich in den Bergen nach den Operationen erhole und dabei versuche, sukzessive wieder in einen Alltag der Zuversicht zurückzufinden. Ich schätze mich glücklich, fern städtischer Dichte sein zu können und Platz für meine Frau, meine zwei jugendlichen Töchter und mich, für das Zusammensein und die Heimarbeit, für Schule und Beruf zu haben. Damit sind wir mittendrin: Das ist mein eigentlicher Luxus dieser Tage! Kurz: Mir geht's gut, wenngleich es hie und da noch zwickt und noch nicht jede Bewegung schmerzfrei gelingen mag.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Die einschneidenden Einschränkungen des beruflichen und gesellschaftlichen Alltags habe ich in einer surrealen Situation erlebt. Im Gegensatz zu den meisten Menschen verbrachte ich seit Februar etliche Wochen in Spitälern. Durch die Schwere meines Unfalls und die komplizierten Folgen war die Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen der Hochschulen sehr eingeschränkt. Durch Corona verschärfte sich dies noch. Weil ich fern von zu Hause hospitalisiert war, sah ich meine Frau und die Mädchen nur selten, meine Eltern und Brüder aus Deutschland konnten mich gar nicht besuchen. Von Tag zu Tag drangen eindringlichere Nachrichten zur Covid19-Situation zu mir vor. Sorge um meine Liebsten mischten sich mit durchaus existenzieller Furcht vor einer Ansteckung, weil ich infolge der operativen Eingriffe sehr geschwächt war. Dies waren meine ersten unmittelbaren Erfahrungen mit Corona. Das Unbekannte, das Unsichtbare und Allgegenwärtige dieser fortschreitenden Pandemie stellten zusehends die alltäglichen Kontakte im Spital infrage. Zum Ende meines Spitalaufenthaltes kamen überhaupt keine Besucher mehr, die Kontakte mit Pflege- und Rehapersonal wurden sehr stark eingeschränkt. Ich verbrachte Tage, in denen ich kaum jemanden sah. Trost und Liebe, deren körperliche Ausdrucksformen wie das Schulterklopfen, Umarmungen und Küsse brauchen, kehrten sich plötzlich zu einer Gefährdung um.

 

Mittlerweile, auf dem Wege spürbarer Genesung und mit der Möglichkeit, eingeschränkt wieder Kontakte im beruflichen Alltag aufzunehmen, beschäftigen mich einige Dinge besonders. Ich liebe den direkten Draht zu den Studierenden im Masterstudium Design an der HGK Basel sehr. Ich unterrichte und mentoriere nicht nur gerne, sondern leidenschaftlich. Die entsprechenden Formen der unmittelbaren Interaktion sind digitalisiert. Bedauerlich ist diese Situation insbesondere für jene Studierenden, die auf physische Entwürfe angewiesen wären. Da die Werkstätten nicht genutzt werden dürfen, fällt ein wichtiger Charakter des Designs, der physische Entwurf, weg. Die Ästhetik des Gebrauchs erschliesst sich erst in der Beobachtung jenes Gebrauchs. Das ist in allen Phasen eines Entwurfs so: Gutes Design muss Ästhetik und Funktionalität vereinen und ist erst durch die Verwendung des Gegenstands durch die Menschen, für die es gemacht wird, abgeschlossen. Diese Interaktion zwischen Gegenstand und Nutzer adressieren wir in vielschichtiger Weise  - und das geht derzeit nur sehr eingeschränkt.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

In meiner doppelten Isolation durch Spital und Covid19 hat sich mein Beziehungsgeflecht entwirrt. Mir ist bewusst geworden, welche Menschen mir wichtig sind und mir ist offenbar geworden, welchen Menschen ich wichtig bin - und zuweilen schmerzhaft bewusst geworden, welchen ich nicht viel zu bedeuten scheine. Der Begriff "Freund" hat für mich mittlerweile seine wahre Bedeutung wiedererlangt. Das wird etlichen so ergangen sein.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Die Antworten auf bestimmende Lebensfragen rücken für mich ins Zentrum: "Wie will ich leben?", "Wo möchte ich leben?", "Was ist mir wichtig?". Status und Karriere sind flüchtige Kategorien, das ist mir sehr bewusst geworden. Luxus definiert sich daher für mich nicht mehr primär in materiellen Dingen, sondern in Begriffen wie Freiheit und Menschlichkeit. Der grösste Luxus sind unsere westlichen Demokratien, die in zunehmend grosser Gefahr sind. Als Designer und Designlehrer meine ich, dass wir uns radikalen Modellen humanistischer Nachhaltigkeit zuwenden müssen. Mit anderen Worten: Was ich unterrichte und wie ich es bisher unterrichtet habe, wird sich verändern. Die Fragen zur nachhaltigen Gestaltung unseres Zusammenlebens und der Wirtschaft, die Bewertung der Qualitäten von Innovation und Aspekte der Gerechtigkeit sind keine Fragen mehr, die Designer ausschliessen sollten. Ganz im Gegenteil: Design muss sich der politischen und gesellschaftlichen Stellung des eigenen Schaffens noch bewusster sein als bisher. Was wird überhaupt produziert? Für welche Produkte arbeiten wir nicht mehr? Unter welchen Bedingungen wird etwas hergestellt? Mit welchen Mitteln (Produkten und Dienstleistungen) verbessern wir unser Zusammenleben?.. Mir fallen hunderte von Fragen ein, die das Design künftig mit Unternehmerinnen und Ingenieuren zusammen adressieren muss. Das heisst nicht, dass es keine schönen und guten Dinge mehr braucht. Der Schönheit und der handwerklichen Präzision von Produkten, aber auch von Programmierungen und Kommunikationen wohnt automatisch der Anspruch der Freiheit inne. Gutes Design nimmt gesellschaftliche und ästhetische Entwicklungen in seinen Entwürfen voraus. Es wird sich zeigen, ob Design dieser Rolle auch in der gegenwärtigen Situation gerecht werden kann.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekt der Krise?

Meine Endkunden, wenn man so will, sind hauptsächlich Masterstudierende in Design und Business Innovation. Ein weiterer Kreis sind Kunden, die ich in Design- und Kommunikationsfragen berate. Das geflügelte Wort von "der Chance in der Krise" macht ja häufig die Runde. Die Studierenden vermissen einander und die Konfrontation mit den Lehrenden. Ich kann dem beim besten Willen nichts Positives abgewinnen. Das erzwungene Eremitentum hingegen, teils in existentieller Bedrohung, in dem wir alle auf uns zurückgeworfen sind und mit uns klarkommen müssen, wird der einen oder dem anderen (auch mir) guttun. Hoffentlich wirken diese Erfahrungen nach, sodass wir den Wert der Gemeinschaft und der Solidarität neu schätzen lernen. Wer es heute schafft, Energie freizusetzen, um an Innovationen, nachhaltigen Entwicklungen und Strategien zu arbeiten, dem kann die Zukunft gehören. Und ich wünsche mir, dass der Homo Oeconomicus dabei auf stabile humanistische Werte und freiheitliche Ordnungen setzt. Die banalsten Erfahrungen, die ich schliesslich gemacht habe, bestätigt eine Ahnung, die ich immer hatte: Ich erlebe etliche Meetings heute als deutlich effizienter, ohne dass auch nur eine Person an einen anderen Ort reisen müsste.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Seit ich mir der globalen Auswirkungen der Klimaerwärmung und des aufkeimenden autoritären Reaktionismus bewusst werde, beschäftigt mich die Frage, welche Werte ich leben und weitergeben möchte. Diese Pandemie ist womöglich natürlicheren Ursprungs, als Klimaerwärmung und grassierende Autoritätssehnsucht. Ihre Auswirkungen indes gefährden die politischen Bemühungen um bedachteren Energieverbrauch und die Verbreitung politischen Humanismus stark. Jene Akteure, die nur das eigene Profitstreben oder den Vorteil des eigenen Volkes (oder schlimmer noch: der eigenen Rasse) in den Vordergrund stellen, sollten wir ein für allemal ins Abseits der Geschichte stellen. Bolsonaro, Trump, Putin und Orban verkörpern diese Rückwärtsgewandtheit in ihren schlecht sitzenden Anzügen ebenso perfekt wie so mancher wohlbetuchte Wirtschaftskapitän. Solidarität und Liebe zu den Menschen werden für mich nach dieser Krise wegleitend sein.

 

Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Wartet nicht mit der Menschlichkeit. Lebt sie jetzt, heute, nur so bewahren und bewähren wir uns als Menschen. Zwei Zitate von Politikern aus Deutschland, als ich dort noch lebte, fallen mir dazu ein:

 

"Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein." (Richard von Weizäcker, 1986)

 

"Wir brauchen mehr als Bilanzen und Shareholder Value, mehr als Gewinn- und Verlustrechnungen. Das nennen Christen Nächstenliebe. Das nennt die Arbeiterbewegung Solidarität. Das nennt Martin Luther King Compassion. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Begriffe. Und ich nenne das den Mörtel, der das Haus zusammenhält, damit es den Sturm übersteht. Und davon ist bei uns viel zu wenig vorhanden." (Johannes Rau)

 

Zum Autor:

Dr. Ralf Michel  ist Designer, Publizist und Kurator. Er lebt in Zürich und Sent, unterrichtet an der Hochschule für Gestaltung in Basel und an der Hochschule St. Gallen Masterstudierende und leitet Forschungsprojekte im Innovationsbereich.

 

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