Der Blick vom Weissenstein
Der globale Disruptor Corona trifft auf einen Markenstrategen und eine professionelle Texterin. Lesen Sie in der neusten Ausgabe von Der Blick vom Weissenstein, was die #Macher Marion Maier und Thomas Deigendesch daraus machen und wer am Ende das letzte Wort hat.
Lieber Thomas, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst.
Wie geht es Dir?
Danke, es geht mir sehr gut und ich bin gesund. Eine Antwort, die in diesen Tagen eine ganz andere Bedeutung hat als noch vor ein paar Wochen.
Wie hat sich Dein Alltag verändert?
Am Anfang der Krise galt das Prinzip "auf Sicht fahren". Täglich, wöchentlich mussten Planungen und Entscheidungen unter enormer Unsicherheit und der sich rasant verändernden Informationslage getroffen und revidiert werden. Im Moment spielt sich eine gewisse Routine ein. Gravierend sind die Veränderungen im Alltag der Zusammenarbeit und der Rückgang der Auftragslage. Das Erstere war nur ungewohnt. Als Branding-Agentur sind wir in der komfortablen Lage, dasss viele Arbeiten im Homeoffice und mit digitalen Abstimmungen in ähnlicher Qualität erledigt werden können. Sogar Kundenworkshops und Agentur-Apéros finden jetzt online statt, auch wenn die persönliche Interaktion viel bereichernder ist und eine ganz andere Qualität bietet.
Das Zweite bleibt leider bestehen und es ist schwer einzuschätzen, wie sich die Lage verändert. Es ist ein Krisen-Reflex, den ich aus 2008 noch in Erinnerung habe. Bei vielen Unternehmen werden die Investitionen in Kommunikation und Branding zurückgefahren. Und ob in Branding-Projekte, die eher strategischer Natur sind, in gleichem Masse wieder investiert wird, wie die Wirtschaft Fahrt aufnimmt, ist sehr ungewiss.
Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?
Ich beobachte ein zutiefst menschliches Verhalten. Droht Gefahr von aussen, rückt das engere Umfeld zusammen. In meinem persönlichen Umfeld nehme ich die Qualität der Beziehung trotz oder gerade wegen der physischen Distanz intensiver und persönlicher wahr. Man nimmt sich bewusst mehr Zeit und Aufmerksamkeit, wenn man sich über Kommunikationskanäle austauscht. Das Füreinander hat mehr Bedeutung gewonnen. Social Distancing schafft Social Connectedness.
Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?
Wir lesen in diesen Tagen viele Prognosen von Auguren, dabei befinden wir uns gerade mal zwei Monate in einer globalen Ausnahmesituation. Eine langfristige Aussage über tiefgreifende Veränderungen ist so spekulativ wie der Wetterbericht für den 15. August 2022. Einiges lässt sich sicher aber schon heute vermuten:
Wir werden feststellen, dass die schon vor der Krise bestehende Transformation der Wirtschaft beschleunigt wird und vorhandene Trends im Konsumverhalten nun einen starken Auftrieb erfahren. Der Digital Lifestyle wird in der Gesellschaft noch stärker und schneller ankommen. Der Onlinehandel wird zulegen und auch diejenigen erreichen, die bisher stationär einkauften. Regional und nachhaltig zu konsumieren und auch zu reisen erfährt eine moralische Bestätigung. Konsumten*innen werden noch bewusster darauf schauen, welche Daseinsberechtigung (Purpose) Marken und Unternehmen im "neuen Normal" haben und welchen gesellschaftlichen Beitrag sie leisten.
Branchen, die schon vor der Krise stark von den Umwälzungen der Netzwerkökonomie betroffen waren, (z.B. Automobil, Medien, Handel) bekommen nun die ganze Härte der Krise zu spüren. Hinzu kommt der ausfallbedingte Einbruch von Tourismus, Events und Gastronomie. Entsprechend düster sind die wirtschaftlichen Prognosen. Strukturbereinigungen, Arbeitslosigkeit und Deflation sind die Schlagworte, die Angst machen und den Konsum dämpfen. Solange das Damoklesschwert des Virus und einer Rezession über uns schwebt, werden Konsument*innen vorsichtig reagieren. Grössere Anschaffungen werden zurückgestellt, Reisen und Veranstaltungen werden nur in begrenztem Masse möglich sein. Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass Verzicht immer auch Kompensation bedeutet. Das Wirtschaftswunder der 50er Jahre belegt dies. Wir werden unser Bedürfnis nach Freiheit und unsere Lust auf Genuss und Lebensfreude nicht verlieren und wollen dies auch in Zukunft leben. Ob der heute oft reklamierte Wunsch eines nachhaltigen Konsums dann von Dauer ist, wird sich zeigen.
Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?
Aber natürlich. Die Krise zeigt plötzlich, wie schnell, flexibel und kreativ die Gesellschaft und Organisationen reagieren können. Diejenigen Unternehmen, die schon vor der Krise die oben beschriebenen Trends der Transformation aufgegriffen und digitale Geschäftsmodelle entwickelt haben, werden besser durch die Krise kommen. Auch wenn die oben erwähnten Restrukturierungen mit Verlusten und Schmerzen verbunden sind, eröffnen sie doch gleichzeitig Chancen. Anstatt sich zu fragen, was man zurückfährt, kann man jetzt die Weichen für das Neue stellen. Wenn ich an meinen Bereich denke, wäre doch jetzt ein idealer Zeitpunkt, um in seine Marke zu investieren. Sind die Marke und ihr "Purpose" wirklich auf die Zukunft ausgerichtet, und erreicht die Marke Kunden und Mitarbeitende wirksam? Wer jetzt seine Marke auf Vordermann bringt und entsprechende Angebote, Leistungen und Markenerlebnisse darauf ausrichtet, hat in der Recovery-Phase eine Pole Position.
Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?
Disruptive Ereignisse haben den Vorteil, dass zementierte Gewohnheiten hinterfragt werden. So ist die Corona-Krise im wahrsten Sinne des Wortes das Krankheitssymptom eines überhitzten und anfälligen Globalisierungssystems und führt zu einer Re-Definition, wie wir in Zukunft national und global agieren werden. Die Gefahr besteht, dass Abschottung von Märkten und Neo-Nationalismus weiteren Zulauf bekommen und unsere demokratischen und föderalistischen Strukturen in Frage gestellt werden. Aber genauso wie der Klimawandel nicht national bewältigt werden kann, ist Egoismus nicht das Rezept, um auf die ökonomischen und sozialen Folgen einer globalen Pandemie wirksame Antworten zu geben. Es wäre daher wünschenswert, dass wir die Globalisierung weiterentwickeln hin zu einer "kooperativen Internationalisierung". Das heisst auf der einen Seite mehr Dezentralisierung und Lokalisierung von Märkten und Staaten und auf der anderen Seite eine verstärkte solidarische Kooperation, sozial wie ökonomisch. Das könnte eine Blaupause sein für eine solidarischere Gesellschaft, in der individuelle Selbstbestimmung, internationale Wirtschaft und Prosperität keine Widersprüche sind.
Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?
Mit Augenmass und Besonnenheit die Zukunft anpacken.
Zum Autor:
Dr. Thomas Deigendesch ist Managing Partner von Jung von Matt/brand identitiy, der auf Markenstrategie und Marken Design spezialisierten Tochteragentur von Jung von Matt. Er begleitet nationale und internationale Kunden in allen Fragen der Markenentwicklung und Markenführung und ist zusätzlich Experte für die finanzielle Bewertung von Marken.
Liebe Marion, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst.
Wie geht es Dir?
Und täglich grüsst die Achterbahn. Das hätte ich Dir wohl zu Beginn der "Coronafication" geantwortet. Das Ungewisse hat mich arg durcheinandergerüttelt. Entpuppen sich der saisonübliche Heuschnupfen und die Halsschmerzen vielleicht als heimtückische Covid-Attacken? Werden sich meine Familie, Freunde und Kunden anstecken? Und wie läuft es mit meinen Text- und Coaching-Aufträgen weiter? Da ich Achterbahnen absolut nichts abgewinnen kann, bin ich heilfroh, dass ich auf das Kettenkarussell umsteigen konnte. Jetzt bin ich in Fahrt, erlebe neue Aussichten und freue mich, dass es mir und meinem Umfeld rundum gut geht.
Wie hat sich Dein Alltag verändert?
Ich staune manchmal selbst, dass sich mein Alltag viel positiver verändert hat als befürchtet. Ich arbeite in meinem Homeoffice, das mir einen pittoresken Blick auf plantschende Vögel eröffnet (ich bin stolze Besitzerin eines Vogelbads!), habe genügend Aufträge und finde meinen Ausgleich wie bisher auf dem Vitaparcours oder während einer frühmorgendlichen Wald-Safari. Negative Auswirkungen gibt es natürlich auch. Sonst wäre mein Karussell-Sitz nicht an Ketten. Ganz besonders vermisse ich die persönlichen Begegnungen, die ich erst langsam zurück in mein Leben lasse. Und dann - seufz - leide ich an akutem Reisefieber. Die Sehnsucht, wieder einen Teil des Jahres auf Hawaii zu leben und zu arbeiten, ist aloha-gross.
Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?
Nein und Ja. Da ich als Texterin und Coach schon länger fast ausschliesslich online arbeite, surfe ich hier auf meiner perfekten Welle. Und ich freue mich, dass sich auch andere aufs Brett wagen. Als geübte Ultra-Lang-Telefoniererin bin ich privat ebenfalls gewappnet und geniesse die Kanalreduktion. Ich liebe es, mich auf Worte zu fokussieren. Nichtsdestotrotz: Die früher zahlreichen Begegnungen mit Familie und Freunden fehlen mir. Ich halte mich jedoch nach wie vor aus Überzeugung zurück.
Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?
Moment, ich hole meine magische Glaskugel aus dem Schrank und packe meine schwarze, grünäugige Katze auf meine Schulter. Nein, ganz im Ernst: Ich finde Prognosen schwierig. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber ich will nicht sperrig sein. Die nachhaltigste Konsequenz ist für mich das kollektive Gefühl von Unsicherheit. Mir kommen da diese Mobiles in den Sinn, die man über Kinderbettchen anbringt. Mir scheint, dass ein schweres Corona-Gewicht an unserem Mobile hängt und wir nicht abschätzen können, in welche Richtung sich das Ding langfristig dreht. Ob es irgendwann stillsteht oder volle Fahrt aufnimmt. Und was wir tun können, um die Balance dauerhaft wiederherzustellen. Ich hoffe inständig auf den riesigen, rosa Elefanten, der ins Spiel kommt und eine erfreuliche Wendung anstösst.
Gibt es für Dich auch positive Aspekt der Krise?
Positive Aspekte? Unbedingt. Das ist genau der Blickwinkel, mit dem ich das Leben zu betrachten versuche. Ich habe Mitgefühl mit jedem, dem Corona ans Eingemachte geht, glaube dennoch fest daran, dass es Lösungen gibt. Sonst wäre ich kein hoffnungsloser :-) Optimist und Coach. Als Texterin liegt meine Passion ebenso darin, mit der Kraft der Sprache dem Positiven eine Bühne zu geben.
Doch zurück zum "Covidling": Ich freue mich, dass Kommunikation bzw. Coaching mit Online-Medien einen zwar unfreiwilligen, aber vielleicht nachhaltigen Schub erfahren hat. Eine weitere Chance sehe ich darin, dass die Krise die Wahrheit ans Licht befördert. Dass sie nicht nur das Schlechteste, sondern vor allem das Beste aus dem Menschen hervorbringt.
Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?
Lernen ist immer grossartig. Ich kann jedoch nur davon sprechen, welche Lehren ich persönlich aus der Corona-Krise ziehe bzw. noch stärker ziehen möchte: dass ich viel von anderen Menschen und Kulturen lerne. Dass ich meine Gesundheit und mein Leben wertschätze. Dass ich nichts für selbstverständlich nehme und nichts planbar ist. Dass die Rücksicht auf andere nicht nur für die anderen, sondern auch für mich wesentlich ist. Dass Verzichten Raum gibt. Dass wichtige Menschen in schwierigen Zeiten besonders wichtig sind. Dass sich selbst in Krisen neue Chancen eröffnen.
Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?
Auf die Gefahr hin, dass es abgedroschen klingt. Und vielleicht auch in Anlehnung an die Tatsache, dass COVID-19 so verflucht unsichtbar ist, überlasse ich mein Schlusswort einem kleinen schlauen Fuchs:
"Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." (Aus: "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry).
Zur Autorin:
Marion Maier ist Vollbluttexterin und Schreibtrainerin aus Leidenschaft und seit 2006 mit ihrem Unternehmen Die Wortakrobaten auf dem Kommunikationsparkett. Ein Journalismusstudium und eine Ausbildung in der Meinungsforschung ebneten ihren Wortweg. Daneben wirkt sie als passionierter Online-Coach in ihrer Firma Aim Coaching mit diversen Ausbildungen in den Bereichen Psychologie und Coaching. Privat liebt sie es, sich mit ihrem Mann in der Natur zu bewegen, Tiere zu beobachten und einen Teil des Jahres auf Hawaii zu leben.
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