Der Blick vom Weissenstein
Alles was #Recht ist: Corona hat schon und wird noch unzählige, sehr speziell gelagerte und komplexe Fragen rechtlicher Art nach sich ziehen. Und in vielen Fällen werden die Antworten darauf unmittelbare, mitunter existentielle Konsequenzen für die betroffenen Menschen haben, sei dies im Bereich ihrer ureigensten psychischen oder physischen Integrität oder dann in ihrem wirtschaftlichen oder kreativen Wirkungsfeld.
Im heutigen Blick vom Weissenstein äussern sich die beiden Rechtsgelehrten Dr. Natalie Peter und Dr. Andreas Ritter zu ihren Erlebnissen in den Wochen des Um- und Unterbruchs.
Liebe Natalie, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst.
Wie geht es Dir?
Mir geht es gut, danke. Ich kann arbeiten, teils zu Hause und teils im Büro, und geniesse jeden Abend ein gutes Essen zu Hause mit meinem Mann.
Wie hat sich Dein Alltag verändert?
Mein Tagesablauf hat sich von einem Tag auf den anderen total verändert. Ich habe keine Sitzungen mehr, keine Mittagessen und keine Anlässe am Abend. Das Leben hat sich sehr entschleunigt, was ich grundsätzlich als sehr angenehm empfinde. Inzwischen fehlen mir aber die sozialen Kontakte, welche ich an meinem Beruf, aber auch im privaten Umfeld sehr schätzte. Wenn ich meine Agenda von vor dem Lockdown anschaue, schüttle ich manchmal ungläubig den Kopf und verspreche mir, diesem Funktionsmodus nicht mehr zu verfallen.
Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?
Ich habe vor allem im Umgang mit Klienten und Behörden bemerkt, wie eine kurze einleitende Nachfrage nach dem Wohlbefinden des Gegenübers dem ganzen Gespräch eine persönliche Note verleiht. Die ersten zwei Wochen waren sehr ruhig. Ich hatte sehr wenig Kontakt v.a. zu Klienten. Alle waren damit beschäftigt, sich in der neuen Situation zurecht zu finden. Inzwischen scheint das vielen gut gelungen zu sein, und der Austausch über Telefon, Email und den vielen weiteren Kanälen hat zugenommen. Die Kontakte haben insofern eine neue Qualität angenommen, als dass sie entspannter und geduldiger ablaufen.
Mit Freunden und Familie haben wir Zoom-Aperos veranstaltet und so den persönlichen Kontakt aufrechterhalten.
Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?
Ich kann die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona noch gar nicht formulieren. Der Umgang miteinander scheint mir aber auf allen Ebenen nachhaltig betroffen zu sein. Dies nicht nur im persönlichen Umfeld, sondern auch auf Staatenebene oder in der Wirtschaft. Es werden sich Fragen stellen, wie beispielsweise mit der radikalen Grenzschliessung in Europa umzugehen ist. Oder können wir es uns leisten, Näherinnen in Billigstlohnländern ohne Schutzmassnahmen wieder arbeiten zu lassen, nur weil wir Corona wieder im Griff zu haben glauben und unbedingt wieder shoppen müssen?
Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?
Ein sich Besinnen auf das, was man tut, und vor allem auch, wie man es bisher getan hat, ist hoffentlich der Anfang positiver Veränderungen. Die Digitalisierung zeigt, dass nicht jede Sitzung physisch vor Ort stattfinden muss. Man kann sich aus verschiedenen Ländern und von verschiedenen Kontinenten ohne Anreise einfach per Mausklick in eine Sitzung einschalten.
Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?
Die Corona Krise zeigt uns wieder einmal Grenzen auf. Ein "kleiner" Virus legt die ganze Welt still. Wir sollten uns von der konstanten Optimierung von Prozessen und Effizienzsteigerung lösen und uns wieder mehr an Grundwerte erinnern, mehr auf Qualität als auf Quantität setzen und unsere "Me, Myself and I - Einstellung" überdenken.
Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?
Wir sollten gemeinsam aus dieser Krise finden und die Lockerung mit Bedacht und Rücksicht aufeinander angehen.
Zur Autorin:
Dr. Natalie Peter ist seit über 25 Jahren in der Beratung von Klienten tätig und leitet heute das Private Client Team von Blum & Grob Rechtsanwälte AG. Sie berät ihre Klienten hauptsächlich in den Bereichen nationales und internationales Steuerrecht sowie der Nachfolgeplanung und Aufsetzung von Strukturen.
Lieber Andy, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst.
Wie geht es Dir?
Zeichen von Corona ist ja bereits, dass diese Frage nicht, wie noch zu Anfang März, eine blosse Höflichkeitsfloskel gewesen wäre, sondern dass zu fragen ein echtes empathisches Besorgtsein zum Ausdruck bringt, nicht nur für Familie, enge Freunde, sondern auch für Bekannte und Geschäftskollegen. Mir geht es gut. Auch wenn mich seit einigen Tagen ein fürchterliches Rückenweh plagt, mein Home Office Platz - sitzend auf einer alten Stabelle an einem noch viel älteren Refektoriumstisch aus einem Piemonteser Kloster in unserem Bauernhaus im Engadin - ist nicht für lange Zoom-Konferenzen und Rechtsgutachten konstruiert worden. Wohl eher für stilles Bibelstudium unter Kerzenlicht - oder ein ordentliches Saufgelage. Dem zolle ich Tribut.
Wie hat sich Dein Alltag verändert?
Alle Welt spricht vom enormen Digitalisierungsschub, es ist wenig originell, wenn ich dies nun auch noch herausstreiche. Aber es ist schon sehr erstaunlich, wie sich nach vielleicht zweiwöchiger Schockstarre auch konservative Branchen rasch auf eine neue Realität eingestellt haben. Ich persönlich arbeite als spezialisierter Anwalt im Kunstmarkt, berate Sammler, Händler, Museen, Nachlässe - und auch Künstler, alle also in kreativen Bereichen tätig. Ich war immer überrascht, fast irritiert darüber, wie wenig der Kunstmarkt sich der fortschreitenden Digitalisierung öffnete. Und nun auf einmal sind alle gezwungen, sich den neuen Realitäten der digitalen Welt zu stellen (online sales, digital salesrooms, blockchain). Und siehe da: vieles funktioniert!
Auch wenn ich sagen muss, dass gerade die Kunstgalerien gegenwärtig einen sehr, sehr schweren Stand haben: erst abrupt geschlossen, dürfen sie jetzt wieder öffnen. Ob die bereits verschobene ArtBasel Kunstmesse im September abgehalten wird, steht gegenwärtig auf der Kippe - solange Reisebeschränkungen bestehen, bleiben die internationalen Sammler weg, und der Kunstgenuss ist in unser aller Köpfen untrennbar mit dem Besuch von Museumseröffnungen und Galerievernissagen verbunden. Das alles fehlt schmerzlich. Der Umsatz ist hier zu sicher 70% eingebrochen, und ich mache mir Sorgen um unseren Kunst- und Kulturplatz in Zürich und in der Schweiz, wenn eine beträchtliche Anzahl von Programmgalerien diese Krise nicht überstehen werden. Dieses Thema beschäftigt mich sehr.
Kunst und Kunstvermittlung hat keine Lobby, anders als Bauern und neuerdings Coiffeure. Eine Woche lang hatte ich das Gefühl, die ganze Schweiz bange um einen neuen Haarschnitt. Ich selbst harre hier noch der Dinge, meine Frau meinte neulich, ich sehe bald aus wie James Last (verständlich nur für Leser, welche die 70/80er Jahre erlebt haben). Ich fahre einmal die Woche für zwei Tage nach Zürich für die notwendigen Sitzungen in der realen Welt oder eine unaufschiebbare Gerichtsverhandlung wie letzte Woche - diese Woche reicht's vielleicht zum Coiffeur.
Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?
Eine spannende Frage: Natürlich sorge ich mich um meine betagten Eltern, die zum grossen Glück noch zu Hause im Einfamilienhaus mit grossem Garten wohnen - da war der Besuch in Rufdistanz zwar surreal, aber immerhin möglich. Natürlich telefoniere ich nicht nur beruflich, sondern auch privat viel mehr, bis einem abends die Ohren wackeln. Bemerkenswert ist für mich, wie unterschiedlich Freunde, Berufskollegen, Klienten mit der Krise umgehen. Da ist alles zwischen Angstzustand und stoischer Gelassenheit drin. Und ich denke, man merkt auch, dass der Einzelne Zeit braucht, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Auch kein schlechtes Zeichen.
Weil ich wie gesagt zwar anders, aber nicht weniger arbeite als "im früheren Leben", habe ich allerdings etwas den Anschluss verpasst im Familien- und Bekanntenkreis, wenn es darum geht, wer das beste Bananenbrot bäckt.
Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?
Jetzt kommen wir zu den grossen Themen: Wir alle machen gegenwärtig eine universelle Erfahrung, die weit über unsere gewohnte Gemeinschaft hinausgeht und die für viele Generationen die erste wirklich gemeinschaftliche Erfahrung ist. Global durch alle Kulturen, von der Führungskraft bis zum einfachen Arbeiter, wurde das sich immer schneller drehende Hamsterrad abrupt gestoppt, und erst langsam zeichnen sich die Konturen des Lebens mit der Krise, nach der Krise ab. Vorausschauendes und langfristiges Denken - losgelöst vom schnellen Profit - wird gefragt sein. Wir müssen in der Lage und willens sein, die Zukunft zu antizipieren, uns auf eine Reihe unvorhergesehener und unwahrscheinlicher Ereignisse vorzubereiten, für die innovative und kreative Lösungen gefunden werden müssen, fernab von wirtschaftlichen Projektionen, Expertenszenarien oder statistischen Reihen.
Hier möchte ich eine Lanze brechen für die Kunst: Im Laufe der Weltengeschichte hat es uns die Kunst oft ermöglicht, komplexe Visionen zu erfassen, alle unsere Sinne miteinzubeziehen und Gedanken zu entwickeln, die mit dem linearen Lauf unseres Lebens brechen. Künstler sind frei von Scheuklappen, sie folgen ihrer Intuition, experimentieren, machen Fehler, kreative Prozesse führen ins Chaos und helfen dann, ein neues Ordnungssystem zu bauen. Ich meine, das können wir heute gut gebrauchen.
Auch der Blick in die Vergangenheit bekräftigt diese Sicht: Den Künstlern der Renaissance gelang es so, die Emanzipation des menschlichen Geistes von religiösen Zwängen zum Ausdruck zu bringen, lange bevor Denker, Geistliche, Fürsten (und Bankiers) diese Konzepte formulierten. Und auch im 20. Jahrhundert wurde der Zusammenbruch der grossen Ideologien von Künstlern antizipiert: Stravinsky komponierte mit zwölf Tönen, Picasso vervielfachte ganz einfach seine Figuren, verzerrt durch deren eigene Komplexität. Sehen und hören wir deshalb genau hin, was uns Künstler zu vermitteln haben.
Gibt es für Dich auch positive Aspekt der Krise?
Selbstverständlich ist die Krise zugleich auch Chance. Die augenfälligste Chance liegt fraglos im Umweltschutz, im Thema Global Warming. Wir alle geniessen den Himmel über uns ohne Kondensstreifen der Flugzeuge, sind verwundert und beglückt, wenn man einen Hirsch mitten im Dorf antrifft. Auch die wiedergefundene eigene Bescheidenheit, die Freude an einem Waldspaziergang anstelle eines Shopping Wochenendes in Paris hilft der Umwelt.
Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?
Vom Einzelnen weg projiziert, sehe ich genau dieselbe Chance auch für unternehmerisches Handeln: Verantwortung, Gesundheit, Wohlergehen für die Gesellschaft an sich müssen Treiber erfolgreichen unternehmerischen Handelns werden. Ein zukünftiger "Leader" wird sich auszeichnen müssen durch Empathie und Fürsorge, ein inneres Bewusstsein und Besonnenheit. So wie durch Sport und gesunde Ernährung das Immunsystem des Einzelnen gestärkt wird, so muss ein Geschäft, muss unsere Gesellschaft "fit" gemacht werden, um in Zukunft bestehen zu können.
Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?
Es hat eine enorme Zäsur gebraucht, um uns an diesen Punkt unseres Daseins zu bringen. Jeden Einzelnen und uns alle als Gesellschaft. Für einen Leitsatz ist es deshalb viel zu früh, aber wachgerüttelt sind wir, wenn nicht jetzt, wann dann? Ich hoffe sehr, dass dieses Bewusstsein und ein neues Mass an Verantwortung, an Solidarität und Wohlbefinden anhält. Bei mir selbst und vielen anderen. Damit und mit viel Arbeit lässt sich im Übrigen auch die Angst vor einer unsicheren Zukunft besiegen.
Zum Autor:
Dr. Andreas Ritter war nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität (lic. iur. 1989) als Assistent am Lehrstuhl für Immaterialgüter- und Medienrecht der Universität Zürich tätig. Anschliessend an den Abschluss der Dissertation im Jahr 1993 folgte eine dreijährige Tätigkeit als Gerichtssekretär an verschiedenen Gerichten. Nach dem Erwerb des Anwaltspatentes im Jahre 1996 und mehrjähriger Tätigkeit in einer grösseren wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei in Zürich gründete er 2000 seine eigene Kanzlei.
Neben seiner anwaltschaftlichen Tätigkeit nimmt Andreas Ritter Organstellung in mehreren Gesellschaften, Stiftungen und kulturellen Institutionen ein. Andreas Ritter ist Verfasser verschiedener Publikationen in den Bereichen des Immaterialgüterrechts und insbesondere des Kunstrechts und veröffentlicht regelmässig Beiträge im Bereich des Kunstmarktes in Schweizer und internationalen Medien.
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