Wer ist schuld und wer ist schuldig?

 

 

 

Verantwortlichkeit und Verschulden - diesen thematischen Herausforderungen widmen wir uns täglich, auch im Wirtschaftsleben. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion beschäftigten sich Dr. Manuela Baeriswyl, RA Lucius Richard Blattner, Dr. Otto Bruderer und Matthias Schulthess unter der Leitung von Dr. Olivia Bosshart mit der Frage: Wirtschaft und Verantwortung: Wer ist schuld und wer ist schuldig?

 

Menschen und Werte

Der Hippokratische Eid, das Arztgelöbnis, steht für viele von uns heute noch als Inbegriff der medizinischen Berufsethik und gilt für Patienten als eine Art "Sozial-Versicherung" des verantwortungsvollen Umgangs mit Leib und Leben.

 

Natürlich werden medizinische Fehlgriffe dadurch nicht vollständig vermieden, doch herrscht ganz allgemein das (Volks)Verständnis vor, dass ein Arzt die Würde des Patienten respektiert und seine Heilungspflichten möglichst gewissenhaft wahrnehmen wird.

 

Zunehmend gegenteilig dazu verhält es sich in der Wirtschaft, wo per se das Eingehen von Geschäftsrisiken als Gegeben erachtet wird und das Erzielen von Gewinn als Gradmesser des Erfolgs dient. Der "wahre Wert" wird von aussen an Hand der Bonität und des Rufs eines Unternehmens gemessen, die stellvertretend für das Verhaltensrisiko seiner Organe - Verwaltungsrat, Geschäftsleitung - sowie der Mitarbeitenden, oft auch Kunden und Lieferanten, stehen.

 

Schuld im Straf- und Zivilrecht

"Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber kann nicht wollen, was er will." So definiert Arthur Schopenhauer die Fiktion des freien Willens. Das Strafrecht greift als letztes Korrektiv, welches dem Staat zur Durchsetzung des Rechts zur Verfügung steht. Die Schuld im Strafrecht zeigt sich mit dem Akt der Vorwerfbarkeit und Zuweisbarkeit der Handlung. Dabei befassen sich sowohl das Strafrecht wie auch das Zivilrecht mit den Begriffen: "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" und fragen nach dem Ausmass der Vorwerfbarkeit und der effektiven Haftung. Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Wurde wissentlich und willentlich eine Tat begangen oder wurden "nur" Pflichten verletzt.

 

Strikte(re) Regeln

Regeln und Normen sind Handlungsrichtlinien. Rechtsbestimmungen schaffen Sicherheiten und sollen unser Leben vereinfachen. Sie erfüllen somit an sich einen wichtigen Zweck. Eine gewisse Sehnsucht nach einfach zu befolgenden Vorschriften scheint in der Denkweise der Gesellschaft zuzunehmen, das Mass an Regulierung steigt. Doch muss es in internationalen und komplexen Gesellschaften, trotz der Regeln, auch den Freiraum geben, ein vernünftiges Mass an Risiko einzugehen, gepaart mit der festen Zuversicht auf ein positives Ergebnis! Doch was passiert, wenn es dann doch nicht so gut kommt wie geplant?

 

Hier greift seit einiger Zeit das gesellschaftliche Phänomen des "Wutbürgers". Das Spektrum erstreckt sich vom Von-sich-weisen jeglicher allfälliger Schuld oder subjektiv empfundener Schuldigkeit auf der einen Seite. Auf der anderen werden Forderungen nach Verurteilung oder gar "Blutzoll" bzw. einem Stillen des eigenen Gerechtigkeitsriebs laut, um dem eigenen Moralempfinden Genüge zu tun. Dabei wird nicht selten (gesellschaftlich) vorschnell verurteilt und es gelten vielfach die einfachsten Bausteine persönlicher Wahrnehmung.

 

Das Instrument der Diskreditierung wird zudem von gewissen Medienkanälen, besonders den elektronischen, dankbar als Geschäftsmodell genutzt. Kühn werden zum Teil Verdachtsmomente mit Mutmassungen angereichert, interpretiert und/oder Kommentaren befeuert - oft noch vor einer abschliessenden juristischen Beurteilung der Verantwortlichen, die so aber vorab medial bereits zu Sündenböcken gestempelt wurden. Das ist zwar nicht erst seit Kurzem so, Gerüchte und Verunglimpfungen gab es schon immer. Via Social Media Kanäle geschehen diese allerdings heute oft sehr viel direkter und in viel grösserem Umfang.

 

Da letztlich nur das Recht über Schuldigkeit, Verantwortlichkeit und Bestrafung im Sinne des Gesetzes entscheiden kann und soll, wächst die Zahl der Normen und Edikte. Doch werden immer weiter zunehmende Regulierungen der eigentlichen Sache in der Praxis nicht mehr gerecht bzw. sind schon heute fast nicht mehr umsetz- und kontrollierbar. Das zeigt sich darin, dass sich die Judikative zunehmend des Instruments des Vergleichs bedient - nicht nur in den USA. Anstatt eines Prozesses wird nach Möglichkeit ein "Deal" zwischen der Anklage und der Verteidigung angestrebt und häufig auch abgeschlossen. Dies dient vorab der sogenannten Prozessökonomie, d.h. dem Bestreben, Prozesse möglichst kurz- und rasch durchführen zu können. 

 

Die Frage nach Schuld und Verschulden, deren juristische Klärung und Beantwortung unter Ausschöpfung sämtlicher Rechtsmittel riskiert dabei aber an Bedeutung zu verlieren. Die Devise: "Klotzen nicht Kleckern!" ist dabei keine Seltenheit. Natürlich bemisst sich das Strafmass am entstandenen Schaden. Aber auch die Unternehmensgrösse ist relevant. Je grösser die beklagte Betriebseinheit oder Unternehmung ist, desto höher ist die geforderte finanzielle Busse und desto verlockender wird ein früher Vergleich, dies nicht nur im Hinblick auf die monetären Kosten einer langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung. Auch mit  Rücksicht auf die Aussenwirkung und die Reputation kann und will sich kaum ein Unternehmen bzw. dessen Vertreter jahrelange Verstrickungen in Rechtsstreitigkeiten leisten, was die Bereitschaft zu Deals bzw. Vergleichen beschleunigt. Als wegweisend dafür gilt das Rechtssystem der USA, wo 97% der wirtschaftsrelevanten Gerichtsfälle mit einem Deal in Form einer Schuldanerkennung (Guilty Plea) enden.

 

Moral und persönliche Ethik als innerer Kompass

Endlich der Vergangenheit angehören sollten testosterongesteuerte Auffassungen wie die das Sophisten Thraysmachos der in Platons Politeia sagt: "Das Gerechte ist nichts anderes, als das dem Stärkeren Zuträgliche."

 

Als innerer Kompass und Repertoire liesse sich auf so etwas wie Tugendethik und die Moral des Handelns verweisen. Nicht zuletzt infolge der Gesetzesflut nehmen Verständnis und Orientierung an einer gesunden Moralkultur aber eher ab. Ungeschriebene Gesetze der Gesellschaft und der Wirtschaft verlieren zunehmend an Bedeutung. Obwohl von der Ausbildung bis zur Rekrutierung und Evaluation Fragen der moralischen Rechtmässigkeit behandelt werden, taucht der Begriff der Moral immer seltener auf. In der sich gefühlt immer rasanter drehenden Welt bleibt kaum mehr Zeit für eine profunde Selbstreflektion und das Hören auf die innere, oft korrekt warnende Stimme.

 

Weder eine Verschärfung des Strafrechts noch eine Flut von zivilrechtlichen Klagen oder ein lauteres Schreien nach Sündenböcken sind nachhaltige Lösungen. Denn immer mehr Regeln führen auch nach Meinung von Juristen dazu, dass vermeintlich alles, was eben nicht verboten ist, als zulässig erscheint, obschon es dem gesunden Menschenverstand, der Ethik und der Vernunft widerspricht. Vielmehr wäre es an der Zeit, den moralischen Kompass neu zu justieren und die unternehmerischen Anreizsysteme umzugestalten. Das würde auch dazu beitragen, weiteren gesetzlichen Einschränkungen zuvorzukommen. Lassen wir uns doch künftig vermehrt vom Bonmot von Erich Kästner leiten:

 

"An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

 

Dr. Olivia Bosshart, Inhaberin von KION - Key Topics for Key People

Marcus H. Bühler, Verwaltungsrat, Weissenstein & Partner

 

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