EU-Verträge - kein Blick mehr auf das Wesentliche

 

#5 der Serie «In VWL nicht immer aufgepasst»

 

EU-Verträge – kein Blick mehr auf das Wesentliche

 

In der aufgeheizten Diskussion um die – etwas überspitzt – «Unterwerfungsverträge» genannten Verträge mit der Europäischen Union (EU) gehen ein paar grundsätzliche Fragen unter: Warum das Ganze? Im Kern geht es darum, dass Schweizer Unternehmen ihre Waren leicht in die grosse EU exportieren können. «Brüssel» fordert dafür von der Schweiz eine weitgehende Integration in die Regeln des Binnenmarktes, bekanntlich gelten – zumindest theoretisch – vom Nordkap bis zur Algarve innerhalb der EU die gleichen Vorschriften.

 

In diesem komplexen Gefüge lohnt sich ein Blick auf die Theorie des internationalen Handels. Der Handel entsteht, weil die Waren dort gekauft werden, wo die komparativen Vorteile am höchsten sind. Die Schweiz ist eben, aufgrund der Bildung, des Fleisses, der Anreizsysteme und vieler anderer Faktoren beispielsweise in der Feinmechanik auf vielen Gebieten führend. Niemand kann das besser. Man ist nicht einfach «billig». Jedes Land sollte sich daher auf die Herstellung derjenigen Güter und Dienstleistungen konzentrieren, in dem es besondere Fähigkeiten entwickelt. In freien Gütermärkten kommt der internationale Handel dann von selbst zu Stande. Wir kaufen von der EU, was sie besser können (z.B. Autos bauen), sie von uns Sanitärsysteme, weil es einfach die besten sind. All das ist nicht neu, die vielen historischen Handelsplätze legen davon Zeugnis ab.

 

Für Dienstleistungen würde das auch gelten, diese werden jedoch in den Verträgen kaum berührt. Hier ist nämlich – z.B. im Finanzbereich – die Schweiz sehr grosszügig gegenüber ausländischen Anbietern, Schweizer Banken aber wird das Leben in der EU schwer gemacht.

 

Dass man in faktisch allen Waren- und Dienstleistungskategorien selbstverständlich die Normen und Vorschriften des Importlandes beachten muss, ist klar. Aber das ist auch nicht neu. Ein überlegenes Produkt kann diese Hürde problemlos nehmen.

 

In der aktuellen Diskussion wird dieser Grundsatz gar nicht mehr in Betracht gezogen, es heisst summarisch, eine Beteiligung am Binnenmarkt sei «wichtig». Was hat das am Ende mit einer Integration im Kultur-, Sport- oder Bildungsbereich zu tun und mit der Personenfreizügigkeit? Lohnt es sich dafür, in der Schweiz den liberalen Arbeitsmarkt mit «flankierenden Massnahmen» abzubauen? Nur schon die Notwendigkeit solcher Massnahmen zeigt, dass man im Inland komparative Vorteile abbauen muss, um sich den fremden Regeln anzupassen. Nur aufgrund der geographischen Nähe übernimmt man tausende Seiten einer uns im Grunde fremden Rechtsordnung?

 

Der Blick muss wieder zurück zum Wesentlichen: Eine innovative, liberal geregelte, flexible Wirtschaft, die ihre komparativen Vorteile ausspielt. Die mit dem Ausland kooperiert und freien Handel vereinbart, wo dies möglich ist. Aber dieser Blick auf das Wesentliche ist der komplexen Vertragswelt inzwischen bei fast allen Akteuren abhandengekommen. Es ist Zeit für eine Rückbesinnung.

 

Norbert Brestel, Zürich

 

Mit Norbert Brestel konnte Weissenstein & Partner einen Gastautor gewinnen, der sich mit Beiträgen zu aktuellen Wirtschaftsthemen äussert. Mit der losen Serie "In VWL nicht immer aufgepasst" beschäftigt ihn insbesondere der Umstand der weitverbreiteten Unwissenheit bezüglich einfacher volkswirtschaftlicher Zusammenhänge, die weder durch die Politik noch die  Bildungsinstitutionen ausreichend adressiert werden.

 

Norbert Brestel war nach einem Betriebswirtschaftsstudium an der HSG mehr als 35 Jahre in der Finanzindustrie tätig und verantwortete zuletzt für einen internationalen Asset Manager die Verwaltung massgechneiderter Aktien- und Fixed-Income Mandate. Seit 2023 ist er selbständiger Berater für einige Stiftungen.

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